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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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Erinnerung waren, die wie Nebel aus seiner Vergangenheit aufstiegen.
    Zum Beispiel jene Nacht, als er noch ein Kind war und Tatjana
ihm ein Glas warmer Milch gegeben und ihn ins Bett gebracht hatte. Er konnte sein Schlafzimmer vor sich sehen und den Feigenbaum vor dem Fenster. Es war irgendwo in der Nähe von Klippen und dem Meer. Es regnete. Sie mussten fliehen. Die erste Erinnerung - ein starkes Gefühl von Leistung und Erlösung.
    Und nun, während sie gingen, erzählte ihm Tatjana - wie ein Maler, der Farbe auf die Leinwand brachte, wo bisher nur eine grobe Skizze vorhanden gewesen war - weitere Einzelheiten, soweit sie sich selbst daran erinnern konnte.
    »Die Nacht, an die du dich erinnert hast, ist wichtig«, sagte sie. »Es war Ende Dezember 1953 - die Nacht, die unser aller Leben änderte. In jener verregneten Nacht kam unsere Großmutter Minnie zu unserem Haus, das an einem wilden, dünn besiedelten Küstenstreifen am Schwarzen Meer lag. Obwohl Teil der Sowjetunion, war dieses Fleckchen doch eine geschützte Oase weit entfernt von dem Terror und den Säuberungsaktionen, die an anderen Orten wüteten - zumindest glaubten wir das. Minnie brachte uns etwas mit, das unsere Familie schon seit Generationen zu beschützen gelobt hatte.«
    »Ich kann mir ihr Gesicht nicht vergegenwärtigen«, sagte Solarin, und doch begann sein Herz zu klopfen, denn plötzlich war wieder etwas aus dem Dunkel aufgetaucht. »Aber ich entsinne mich anderer Dinge aus dieser Nacht. Männer sind in unser Haus eingedrungen; ich bin nach draußen gelaufen und habe mich in den Klippen versteckt. Ich bin irgendwie entkommen. Aber du bist von diesen Männern ergriffen worden …« Schockiert sah er seine Mutter an. »Und dann habe ich dich erst an diesem Tag im Kloster wiedergesehen!«
    Tatjana nickte. »Minnie hatte diesen Augenblick ausgewählt, um uns einen Schatz zu bringen, nach dem sie monatelang in ganz Russland gesucht hatte. Denn fast zehn Monate zuvor war Josef Stalin, der Russland fünfundzwanzig Jahre mit eiserner Faust regiert
hatte, gestorben. In den Monaten nach seinem Tod hatte sich die gesamte Welt gewandelt, allerdings nicht immer zum Besseren. Irak, Jordanien und England hatten zwar neue, junge Staatslenker, aber Russland hatte die Wasserstoffbombe entwickelt. Und kurz vor Minnies Eintreffen an unserem Haus war der langjährige Chef des sowjetischen Geheimdienstes - Lawrenti Beria, der meistgefürchtete und -gehasste Mann in Russland - von einem Erschießungskommando exekutiert worden. Stalins Tod und das Vakuum, das er hinterließ, hatten Minnie dazu bewogen, sich auf die Suche zu begeben, um so viele Teile wie möglich von dem verborgenen Schatz zu retten. Sie fand drei wertvolle, mit Edelsteinen besetzte Schachfiguren aus Gold und Silber, die sie zu uns brachte, damit wir sie für sie aufbewahrten. Sie glaubte, dass sie bei uns in Sicherheit wären, zumal ein Boot in der Nähe lag, über das dein Vater verfügen konnte.«
    Bei der Erwähnung der Schachfiguren hatte Solarin gespürt, wie das Feuer zurückkehrte. Er versuchte, es aufzuhalten. Es gab noch etwas, das er wissen musste. »Wer waren diese Männer, die dich gefangen genommen haben?«, fragte er mit zitternder Stimme. »Und wie ist es dir gelungen, so lange verschwunden zu bleiben?«
    Tatjana gab eine ausweichende Antwort. »In Russland war es schon immer leicht zu verschwinden«, sagte sie ruhig. »Das haben Millionen getan, wenn auch nicht freiwillig.«
    »Aber wenn doch das alte Regime aufgelöst worden war, wer waren dann die Männer, die den Schatz an sich reißen wollten? Wer hat dich gefangen genommen? Und wohin haben sie dich gebracht?«
    »An den üblichen Ort«, erwiderte Tatjana. »Glawnoje Uprawlenije Lagerej, die Hauptverwaltung der Straflager - kurz ›Gulag‹ -, die Arbeitslager, die es seit den Zeiten der Zaren gab. Die Verwaltung, auf die sich der Name bezieht, ist immer die Geheimpolizei, ob sie nun Ochrana hieß, wie unter Zar Nikolaus, oder die Tscheka, NKWD oder KGB unter den Sowjets.«
    »Die haben dich in ein Arbeitslager gesteckt?«, fragte Solarin entsetzt.
»Aber wie, in Gottes Namen, ist es dir gelungen zu überleben? Ich war doch noch ein kleiner Junge, als sie dich geholt haben.«
    »Ich sollte auch nicht überleben«, erwiderte Tatjana. »Aber nach etwas mehr als einem Jahr hat Minnie schließlich herausgefunden, wohin man mich gebracht hatte, in ein Lager in Sibirien. Furchtbar trostlos und am Ende der Welt. Und sie hat um meine

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