Die Bourne-Identität
hier habe ich eigentlich bis jetzt noch nichts Neues gehört«, sagte der >Mönch<. »Gewährsmänner sind normalerweise schlaue und vorsichtige Leute; sie hüten ihre Kontakte eifersüchtig. Keiner von ihnen betreibt sein Geschäft als Wohltätigkeitsverein, ihn interessiert allein der Profit - und sein Überleben.«
»Ich fürchte, Sie übersehen da etwas.« Gillette nahm die Brille ab. »Ich sagte schon vorher, daß es mich beunruhigte, daß man so viele Morde der letzten Zeit Cain zugeschrieben hat - hier Cain zugeschrieben hat. Mir scheint, daß dabei dem raffiniertesten Mörder unserer Zeit - vielleicht der ganzen Geschichte - eine vergleichsweise unbedeutende Rolle zugedacht wird. Vielmehr ist Carlos der Mann, auf den wir uns konzentrieren sollten. Was ist aus Carlos geworden?«
»Da bin ich anderer Meinung, Alfred«, sagte der >Mönch<. »Die Zeiten von Carlos sind vorbei. Cain ist an seine Stelle getreten. Die alte Ordnung ändert sich; jetzt gibt es einen neuen und, wie ich vermute, viel gefährlicheren Hai in diesen Gewässern.«
»Dem kann ich nicht zustimmen«, sagte der Mann vom Sicherheitsrat, und seine Eulenaugen fixierten sein Gegenüber. »Sie müssen mir verzeihen, David, aber auf mich wirkt es so, als würde Carlos selbst diesen Ausschuß manipulieren. Er lenkt die Aufmerksamkeit von sich selbst auf eine Person von viel geringerer Wichtigkeit. Wir vergeuden unsere ganzen Energien damit, einen zahnlosen Sandhai zu jagen, während ein viel gefährlicheres Exemplar sich frei bewegen kann.«
»Niemand hat Carlos vergessen«, wandte Manning ein. »Er ist einfach nicht so aktiv, wie Cain das gewesen ist.«
»Vielleicht«, sagte Gillette mit eisiger Stimme, »ist es genau das, was Carlos uns glauben machen will. Und wir fallen auch noch darauf herein!«
»Die Liste von Cains Aktivitäten ist atemberaubend.«
»Ob ich daran zweifeln kann?« wiederholte Gillette. »Das ist eben die Frage, nicht wahr? Wir stellen jetzt fest, daß das Pentagon und der CIA praktisch unabhängig voneinander tätig waren, ohne sich über de Vertrauenswürdigkeit ihrer Gewährsleute abzustimmen.«
»Was wollen Sie damit sagen, Mr. Gillette?«
»Ich würde gerne mehr Informationen über die Aktivitäten eines gewissen Iljitsch Ramirez Sanchez haben. Das ist ...«
»Carlos«, ergänzte der Kongreßabgeordnete. »Ich erinnere mich daran, von ihm gelesen zu haben. Ich verstehe. Danke. Bitte, fahren Sie fort, Gentlemen.«
Manning sagte schnell: »Kommen wir wieder auf Zürich zurück. Unsere Empfehlung ist, jetzt die Jagd auf Cain fortzusetzen. Wir sollten die Unterwelt auf ihn ansetzen, jeden Informanten, den wir besitzen, und verlangen, daß die Züricher Polizei uns unterstützt. Wir können es uns nicht leisten, auch nur noch einen Tag zu verlieren. Der Mann in Zürich ist Cain.«
»Was war dann in Brüssel?« Knowlton stellte die Frage ebenso sich wie den anderen am Tisch.
»Man hat Ihnen offensichtlich Falschmeldungen zugespielt«, sagte Gillette. »Und ehe wir irgendwelche dramatischen Schritte in Zürich unternehmen, empfehle ich, daß jeder von Ihnen die Cain-Akten gründlich studiert und jede einzelne Information überprüft. Veranlassen Sie Ihre Leute in Europa, sie sollen jeden Informanten gründlich unter die Lupe nehmen. Ich habe das Gefühl, daß Sie dann etwas feststellen werden, womit Sie nicht gerechnet haben: daß Ramirez Sanchez hinter all dem steckt und uns auf eine falsche Fährte gelockt hat.«
»Da Sie so auf Klärung erpicht sind, Alfred«, sagte Abbott, »warum erzählen Sie uns dann eigentlich nichts über den unbestätigten Zwischenfall, der sich vor sechs Monaten ereignet hat? Vielleicht hilft das uns weiter.«
Zum erstenmal während der ganzen Konferenz schien der Delegierte des Nationalen Sicherheitsrates nur zögernd Auskunft geben zu wollen. »Mitte August erhielten wir aus verläßlicher Quelle in Aixen-Provence die Nachricht, daß Cain nach Marseille unterwegs sei.«
»Im August?« rief der Oberst aus. »Marseille? Das war Leland! Botschafter Leland ist im August in Marseille erschossen worden.«
»Aber Cain hat diesen Schuß nicht abgegeben, sondern Carlos. Ballistische Untersuchungen, die man mit denen früherer Morde verglichen hat, haben das eindeutig bestätigt. Drei Zeugen haben einen dunkelhaarigen Mann im zweiten Stock der Lagerhalle im Hafen gesehen, der eine Tasche bei sich trug. Ihren Beschreibungen nach muß es sich um Carlos handeln. Es hat nie Zweifel daran gegeben,
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