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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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tief in den Taschen vergraben. Am Hafen sahen ihn die Fischer vorübergehen. Einer von ihnen war gerade dabei, das Blech aus dem Meer zu ziehen. Max blieb stehen. So ein Blech, auch wenn es rostig war, konnte er für sein Boot gut gebrauchen.
    Max liebte alles, was schön war, deshalb liebte er Morgane. Er liebte es auch, sich mit Steinen und Bäumen zu beschäftigen. Er sagte, er spüre das Leben im Körper der Steine pulsieren. Er glaubte, dass die Leben, die das Meer nahm, zum Leben des Meeres wurden.

    Seine Mutter hatte die Seeleute geliebt, die Fischer von Cherbourg, wenn sie nach Monaten auf See zurückkehrten. Den Durst, den sie dann jedes Mal hatten! Sie war eine Hure gewesen, sie hatte auch für ein Gestüt im Landesinneren gearbeitet, wo sie die Hengste angemacht hatte. All das hatte mir Monsieur Anselme gesagt. Auch im Hafen erzählte man es sich. Angeblich waren die Männer verrückt nach ihr gewesen. Sie hatte sich unter den Zug Cherbourg – Valognes geworfen, als Max zehn war.
    Raphaël hatte sich wieder an seinen Tisch gesetzt.
    »Das ist die Tiefenzuneigung«, sagte er und zeigte zur Tür.
    Ich verstand nicht, deshalb erklärte er: »Max nennt es so, seine Liebe für Morgane … die Tiefenzuneigung.«
     
    Am späten Vormittag fuhr ich nach Cherbourg, um Einkäufe zu machen.
    Raphaël borgte mir sein Auto, einen alten Ami 8, der wegen der Gischt immer auf dem Dorfplatz stand. Der Boden war durchgerostet, ein handgroßes Loch. Raphaël hatte Fußmatten darübergelegt, aber wenn man sie wegnahm, sah man die Straße. Die Fahrertür ließ sich nicht zuschließen. Raphaël machte sich nichts draus, er ließ den Schlüssel auf dem Sitz liegen. Er borgte sein Auto jedem, der ihn darum bat, man musste nur ein paar Liter tanken und Öl nachfüllen, wenn die Anzeige zu leuchten begann.

A uf den Dorfstraßen lag noch der Schlamm, den der Sturm hinterlassen hatte.
    Als ich das Auto an seinen Platz stellte, wie üblich, sah ich Lambert. Er stand vor dem Friedhofstor und hatte einen Strauß in der Hand. Blumen, einen ganzen Armvoll Ranunkeln. Hier gab es keine Ranunkeln, man musste dafür nach Beaumont fahren oder nach Cherbourg.
    Ich sah, wie er das Tor öffnete und den Friedhof betrat, er lief den Weg zwischen den Kreuzen entlang, wandte sich nach links und blieb schließlich nah bei der Mauer stehen, an einem Grab, das von einer Reihe flacher Steine begrenzt und mit Kies bedeckt war. Er beugte sich vor und legte den Strauß hin. Der Pfarrer stand vor der Kirche und sah ihm zu. Drei Frauen kamen die Straße hinauf. Sie hatten sich fest untergehakt, ganz eng, fast schwankend. Sie sahen sich ähnlich. Sie drehten sich nach Lambert um. Ein Unbekannter im Dorf, an einem Grab … Sie steckten die Köpfe zusammen. Eine von ihnen hatte leuchtende Augen, sie hörte zu, was die anderen ihr erzählten.
    Lambert blieb noch ein paar Minuten. Schließlich holte er etwas aus seiner Tasche hervor und legte es neben den Strauß. Dann ging er fort. Er überquerte die Straße und betrat das Haus gegenüber von Lili.

    Die Fensterläden dieses Hauses waren immer geschlossen. Ich hatte noch nie jemanden darin gesehen. Der Garten war von Unkraut überwuchert.
    Mir fiel der seltsame Blick ein, den er mit Lili gewechselt hatte. Vermutlich hatte er früher dort seine Ferien verbracht. Ich wartete, bis er weg war, dann ging ich zum Friedhof.
    Max kümmerte sich um die Gräber. Er harkte den Kies, sammelte die Blumentöpfe und Gießkannen ein. Jeden Tag, außer bei Regen. Er machte auch rings um Lilis Haus sauber. Er machte noch viel mehr für sie, ich hatte schon gesehen, wie er Gestrüpp verbrannte, Dachziegel austauschte und die Türangeln ölte, wenn sie quietschten. Lili hatte ihm im unteren Teil ihres Hauses eine Zweizimmerwohnung eingerichtet. Das tat sie, weil er ihr Cousin war.
    Ich lief zwischen den Gräbern entlang. Die Sonne öffnete die Blumen in den Vasen. Sie trocknete die Steinplatten. Den Kies nur oberflächlich. Man musste nur ein bisschen mit dem Absatz kratzen, um wieder auf die Feuchtigkeit der Erde zu stoßen.
    Im Winter würde der Schnee alles zudecken. Er würde die Toten isolieren. Ihnen eine Zeit der Stille gewähren.
    Würde ich im Winter noch da sein?
    Ich ging bis zu dem Grab mit den Ranunkeln. Es war ein sehr schlichtes Grab mit einem weißen Holzkreuz. Ein Rosenstrauch war in die Erde gepflanzt, die Zweige klammerten sich an die Friedhofsmauer.
    Zwei Namen waren in das Kreuz graviert: Béatrice und

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