Die braune Rose
verspreche es dir.«
Eduard Koeberle rieb die Hände aneinander. Sie waren schweißnaß und juckten in den Handflächen. Um elf Uhr kam Direktor Krummstab zu einer Besprechung. Es war unmöglich, daß er Marianne sah.
»Es geht nicht«, sagte Koeberle hart. »Auch wenn ich wollte – es geht einfach nicht.«
»Was heißt das: Auch wenn ich wollte.«
»Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß mein Name irgendwie wieder mit dieser Sache ins Gespräch kommt. Unter Garantie wird morgen die Presse von dem Verschwinden deiner Tochter berichten. Ein rührseliges Thema, auf das sich die Redakteure stürzen mit Wonnegeheul. Oh, es wird im deutschen Blätterwald rauschen. Die Odyssee des Boxerkindes. Kleines, schwarzes Waisenkind. Weil du braun bist, kennst du keine Liebe. Ich sehe schon die Balkenüberschriften. Und dann mein Name dazwischen, womöglich noch Bilder in den Illustrierten. Es ist völlig unmöglich. Allein aus politischen Gründen.«
»Politische Gründe? Du?«
»In zwei Monaten sind die Neuwahlen für die Stadtvertreter. Man hat mich zum Stadtrat nominiert. Ich habe große Chancen.« Eduard Koeberle schwitzte nun auch im Gesicht und spürte, wie ihm der Schweiß vom Hals über die Brust lief und das Nylonhemd ankleben ließ. »Stell dir das vor. Ein Stadtrat, der eine Frau mit einem Negerkind hatte. Ich kann auswandern, wenn das herauskommt.«
Marianne schwieg. Mit großen Augen sah sie Koeberle nur an, stumm, mit erhobenem Kopf. Er konnte diesem Blick nicht standhalten, senkte den Kopf und drehte sich zu dem großen Fenster.
»Versteh mich doch«, sagte er heiser. »Ich stehe kurz vor einem großen Ziel … bei der nächsten Wahl komme ich in den Landtag … man hat sogar angedeutet, mir dann das Landesfinanzministerium zu geben. Begreif es doch! Ich kann keine schwarze Tochter haben, auch keine angeheiratete.«
Marianne nahm ihre Tasche vom Tisch. Das Glas Cola stand unberührt daneben. An der Tür blieb sie stehen und drehte den Kopf zurück. Koeberle stand noch immer am Fenster, mit dem Rücken zu ihr.
»Leb wohl, Minister«, sagte sie leise. Koeberle zuckte zusammen, aber er drehte sich nicht herum. »Es wird merkwürdig sein, dich einmal über Entwicklungshilfe reden zu hören, wo dir ein unschuldiges, braunes Mädchen so zuwider ist.«
*
Auf dem Polizeirevier XXV in Düsseldorf, dessen Fenster und Leuchtschild zum Rhein blickten, goß sich Hauptwachtmeister Schmitz die dritte Tasse Kaffee aus der Thermosflasche ein. Es dampfte kräftig, ein würziger Geruch flog durch den nüchternen Amtsraum und machte ihn freundlicher und bürgerlicher, trotz der Fahndungsplakate, die ringsherum an den Wänden klebten.
Die Uhr mit dem rabiat lauten Ticken stand auf zwei Uhr morgens. Das war die Zeit, wo Hauptwachtmeister Schmitz die letzten belegten Brote aß, die ihm seine Selma eingepackt hatte. Um sieben Uhr wurde er abgelöst. Im Nebenraum schliefen drei Männer auf harten Holzpritschen. Man hatte sie zur Ausnüchterung hierbehalten. Die Streife 2 hatte sie mitgebracht; auf einer Bank am Rhein hatten sie gesessen und geschlafen. Da sie keine Ausweise bei sich hatten und nicht vernehmungsfähig waren, war es unmöglich, sie ordnungsgemäß abzuliefern.
Kurz nach zwei Uhr öffnete sich die Tür des Reviers und ein Mädchen kam herein. Es trug einen hellen, halblangen Trenchcoat, unter dem ein rotes Kleid hervorsah. Um den Kopf hatte es ein Kopftuch gebunden. Ein Seidentuch, auf dem die Landschaft des Bodensees gedruckt war. Direkt über der Stirn lag die Hafeneinfahrt von Konstanz.
»Kenn ich«, sagte Hauptwachtmeister Schmitz gemütlich und blies in seine dampfende Kaffeetasse. »Konstanz. War vor drei Jahren dort, mit 'ner Reisegesellschaft. Vierzehn Tage Bodensee. Nur das Wetter war saumäßig.« Er stellte die Kaffeetasse weg und wischte sich über den Mund. »Guten Morgen. Was gibt's, Fräulein? Schön braungebrannt sind Sie. Wintersport? Warum kommen Sie? Haben Sie was verloren?«
Das Mädchen sah den Polizeibeamten mit großen, schwarzen Augen an. Erstaunen war in ihnen. Es war offensichtlich, daß es sich eine Polizeiwache anders vorgestellt hatte.
»Bitte, verhaften Sie mich«, sagte es. Seine Stimme war weich und voll Melodie, so, als sänge es die Worte.
»Verhaften! Aha!« Hauptwachtmeister Schmitz nickte. Er faltete das Pergamentpapier, in dem das belegte Brot eingewickelt worden war, säuberlich zusammen. Man konnte es noch einmal gebrauchen. Das war kein Geiz, sondern Sparsamkeit.
Weitere Kostenlose Bücher