Die braune Rose
Staatsanwaltschaft mit Gutachten, sie ließen beweisen, daß sich Bert Schumacher in einem ›Affekttunnel‹ befunden hatte, in einer solch psychischen Verzweiflung, daß er keine Handlung mehr überblickte. Die Bereitschaft Harriet-Roses, zu sterben, ob durch ihn oder durch eigene Hand mit einer Rasierklinge, hatte ihn in seiner Liebe völlig kopflos gemacht. Alle wissenschaftlichen Gutachten schlossen damit, daß man Bert Schumacher in einem Prozeß ohne weiteres für die Tatzeit den vollen Schutz des Paragraphen einundfünfzig Absatz eins zuerkennen müsse … die völlige Unzurechnungsfähigkeit, geschaffen aus einer unmenschlichen Verzweiflung und seelischen Belastung.
So erhob die Staatsanwaltschaft nach eingehenden Besprechungen mit den Gutachtern und dem Generalstaatsanwalt keine Anklage. Bert Schumacher wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Niemand stand an der Gefängnispforte, als er hinaus auf die Straße trat. Nur Harriet-Rose wartete mit einem kleinen Blumenstrauß. Um die Ecke allerdings parkten die Wagen der Familien Schumacher und Pachtner, jedoch ohne Heidi, die bereits auf der Fahrt durchs Mittelmeer war und mit dem Ersten Offizier des Dampfers ›Conte Morelli‹ flirtete.
Es schneite, als Bert auf die Straße trat und das Eisentor des Gefängnisses hinter ihm dumpf zuschlug. Harriet hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und hielt ihm die Blumen entgegen, als wolle sie den Strauß verkaufen.
»Harriet –«, sagte Bert mit schwankender Stimme. »Du holst mich ab?«
»Ist das nicht natürlich?«
»Ich habe auf dich geschossen. Ich habe es fertiggebracht, auf dich zu schießen. Das werde ich bis zu meinem Ende nicht mehr überwinden.«
»Erst mußt du etwas essen und dich wärmen.« Sie hakte sich bei Bert ein und legte den Kopf an seine Schulter.
Bert legte den Arm um ihre Schulter, als wolle er sie schützen. Mitten auf der Straße blieben sie stehen und küßten sich. Arnold Schumacher drehte sich im Wagen um und nickte seiner Frau und Marianne zu, die nebeneinander saßen.
»Ist das nicht ein schönes Bild?« Er lachte fröhlich. »Das Küssen hat er von mir geerbt.«
»Immer diese Selbstüberschätzungen«, sagte Erika Schumacher, aber sie lachte dabei zurück.
Pachtner hatte die Scheibe heruntergekurbelt und winkte Schumacher zu.
»Hup mal, Arnold!« rief er. »Bis hierher ist noch alles gut gegangen. Sollen sie jetzt überfahren werden?«
»Wohin?« fragte Bert, als er Harriet losließ.
»Zu uns.«
»Du bist allein?«
»Ganz allein.« Sie lächelte ihn aus ihren großen, schwarzen, glänzenden Augen an und wies nach hinten. Dort standen die beiden Wagen und Bert sah seine Mutter, wie sie aus dem Fenster winkte und laut »Huhu!« rief.
Später saßen sie auf einem Schlitten im Garten am Neckar und erholten sich von einer Schneeballschlacht. Im Wohnzimmer des kleinen Bungalows saßen Schumachers und Pachtners und hörten einen Vortrag von Jesus Abraham Whitefield an. Die Zahlen, die er nannte, waren für Schumacher eine angenehme Musik. Das Appellationsgericht hatte dem Antrag Dr. Whitefield stattgegeben und eine neue, erfolgversprechende Revision angenommen.
»Jetzt werden wir Millionäre«, flüsterte Schumacher seiner Frau ins Ohr und freute sich über diesen Satz. »Millionäre durch ein Negerbalg.«
Erika Schumacher schielte zur Seite. »Du bist und bleibst ein unhöflicher Mensch«, sagte sie ebenso leise. »Wie wärest du wohl Millionär geworden, wenn ich dir nicht diesen Sohn geboren hätte.«
Gegen diese Logik war Schumacher machtlos und lauschte weiter den Worten von Jesus Abraham Whitefield.
Unten, am Neckar, rannte Harriet durch den Schnee, wirbelte ihn mit den Stiefeln auf und bewarf Bert, der ihr nachrannte.
Plötzlich blieb sie stehen, nahm zwei Hände voll Schnee und warf ihn sich ins Gesicht, drückte ihn an die Haut und hob den Kopf zu Bert, der sie an den Schultern herumriß.
»Sieh mich an!« rief sie. »Jetzt bin ich weiß! Ganz weiß! Sag, daß ich weiß schön aussehe … sag es schnell!«
Und Bert Schumacher zog sie an sich, wischte ihr den Schnee aus dem Gesicht und küßte die kaffeebraune, zuckende Haut, die schwarzen Haare, die brennenden Augen.
»Du bist schön«, sagte er zärtlich und preßte sie mit beiden Armen an sich. »Du bist schön wie das Leben – – –«
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