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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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zerrte seinen Gefangenen über sich, rollte sich mit ihm herum und kam auf dessen Brustkorb sitzend wieder nach oben. Der Bolzen schlug mit einem trockenen Ploppen ungefähr dort auf, wo Enrico gelegen hatte, und bohrte sich in den Boden.
    Alles schwieg. Enrico starrte zu Lorenzo empor. Lorenzo starrte zurück. Obwohl es kein Echo gab, schien das Geräusch des Bolzens und wie er auf die Erde traf, nachzuhallen. Enrico hielt immer noch die Armbrust in der Hand. Sein Blick fiel auf sie, dann auf den im Boden steckenden Bolzen und von dort zu Lorenzo zurück.
    »Ein guter Witz«, sagte Lorenzo und stellte fest, dass er außer Atem war. »Die Armbrust direkt nach oben abzufeuern. Von dir kann ich tatsächlich noch was lernen.«
    Er blickte auf und sah, dass sich mehrere Piken auf ihn gerichtet hatten. Die Augen, die über die langen Schäfte hinweg auf ihn starrten, waren groß. Der Kahlkopf schob sich in Lorenzos Blickfeld. Er trat an ihm und Enrico vorbei, zog den Bolzen mit Mühe aus dem Boden und betrachtete die Spitze.
    »Das ist so witzig«, sagte er, »dass ich glatt vergessen habe, wie man lacht.«
    Er warf den Bolzen neben Enrico auf den Boden und sah auf Lorenzo hinab. »Ich unterstelle mal schlicht, du bist vollkommen verrückt.«
    »Da haben wir ja was gemeinsam«, krächzte Lorenzo.
    »Geh von mir runter«, sagte Enrico.
    Lorenzo sah dem Kahlkopf in die Augen.
    »Geh von ihm runter«, sagte der Kahlkopf. »Ihr anderen, die Piken weg. Es ist ja nicht so, dass der gute Mann bewaffnet wäre, oder?«
    Lorenzo kam geschmeidig in die Höhe und trat beiseite. Enrico rappelte sich mühsam auf. Lorenzo hielt ihm die Hand hin, aber der Mann funkelte ihn nur hasserfüllt an. Er bückte sich nach seinem Bolzen und wischte die erdige Spitze an seiner Hose ab. Lorenzo ließ die Hand sinken.
    »Du schuldest ihm eines«, rief der Kahlkopf dem davonstapfenden Enrico hinterher.
    »Wenn er sich einmal umdreht und mir den Rücken zuwendet, werde ich ihn nicht kaltmachen«, sagte der schmächtige Mann. »Dann sind wir quitt.«
    Lorenzo nickte. Der Kahlkopf musterte ihn.
    »Du hast mich zweimal überrascht«, sagte er. »Das nächste Mal wirst du derjenige sein, der auf dem Boden liegt. Und du wirst nicht wieder aufstehen.«
    Lorenzo nickte erneut. Er ließ den Blick des Kahlkopfs nicht los. Erstaunt registrierte er, dass sie beide gleich groß waren. Die meisten der Männer um sie herum waren ein Stückchen größer. Der Kahlkopf blinzelte.
    »Und was soll das alles?«, fragte er schließlich. »Deine ganze Vorstellung?«
    Lorenzo erkannte unvermittelt, dass das ganze Geplänkel genau auf diese Frage hin zugelaufen war. Nicht nur die Kapriole mit Enrico; nicht nur die Falle, die er mithilfe seines Pferdes gestellt hatte; nein, es hatte von dem Moment an angefangen, sich auf diesen Augenblick zuzubewegen, als er im Gebüsch gelegen und festgestellt hatte, dass er Clarice nicht einfach unter den Nasen ihrer Wächter fortschaffen konnte. Sein Plan zwei war in Wirklichkeit nur die halbe Lösung; der eigentliche zweite Plan trat jetzt in Kraft. Lorenzo fühlte, wie sich ein Abgrund vor ihm auftat. Zugleich wusste er, dass es die einzige Möglichkeit war.
    »Wenn ich mich einfach auf die Straße gestellt und auf euch gewartet hätte, hätte mir niemand zugehört«, sagte Lorenzo. »Ich musste dich auf mich aufmerksam machen, nicht wahr? Wer kauft schon die Katze im Sack?« Er holte Atem, faltete die Hände, und während eine kleine Stimme in ihm schrie und seine Worte verfluchte, hörte er sich selbst sagen: »Ich möchte zu dir gehören. Nimmst du mich in deinen Dienst, patron ?«
    Es galt, schnell zu sein: Er musste die erste wirkliche Gelegenheit ergreifen, mit Clarice zu fliehen – das kleine Problem, dass er sie noch gar nicht gesehen hatte und nur vermuten konnte, dass sie sich im Trosswagen befand, mal außer Acht gelassen. Vor allem aber galt es, klug zu sein. Eine zweite Gelegenheit würde es nicht geben; ein Fehler bedeutete nicht nur das Scheitern seiner Mission, sondern auch das Ende seines Lebens. Lorenzo gab die verblüfften Blicke der Männer, die ihn umringten, so freimütig wie möglich zurück. Er spürte, wie sein Mund sich zu einem selbstbewussten Grinsen verzog, ohne dass er sich so fühlte. Die blauen Augen des Kahlkopfs musterten ihn so eingehend, dass Lorenzo Mühe hatte, seine Pose aufrechtzuerhalten. Enrico stand abseits und durchbohrte ihn mit Blicken; einen Feind hatte er sich schon gemacht.
    »Meine

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