Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
sie. »Es wäre meine Aufgabe gewesen, dich zu überzeugen, anstatt dich zu bezwingen zu versuchen. Bitte vergib mir meine Hoffart.«
Bruder Girolamo wies mit dem Kopf zur Straße. »Die sehen wir niemals wieder«, sagte er statt einer Antwort.
»Es wird ihnen nichts zustoßen. Der Scharführer ist ein vorsichtiger Mann.«
»Der Scharführer ist ein Feigling«, erwiderte Bruder Girolamo. »Noch bevor du dich eingemischt hast, stand er schon bei mir und versuchte mich zu überreden, ihn ziehen zu lassen, um etwas zu essen zu besorgen.«
»Was ist daran so verwerflich?«
»Meine liebe Schwester, niemand kann dir zum Vorwurf machen, dass du die Menschen nicht kennst. Die Fähigkeit zur Einsicht hat Gott den Männern verliehen, aber nicht den Weibern. Der Scharführer ist ein feiger Mensch, das musste jedem klar sein, der seine Nervosität bemerkte, wenn unsere Reihe sich zu sehr auseinanderzog und er den Überblick verlor. Du glaubst, du hast ihn auf die Idee gebracht, irgendwo im nächsten Dorf um Essen zu bitten? Ich sage dir, er hat innerlich den Schöpfer angefleht, einen solchen Befehl zu erhalten, damit er gehen kann. Das ist das besondere Merkmal an wahren Feiglingen: dass sie sogar zu feige sind, ihren Ängsten nachzugeben, wenn man sie nicht dazu ermuntert.«
»Ich glaube nicht, dass …«
»Die dieses Verbrechen hier begangen haben, sind keine Tagesreise von uns entfernt – und dabei nehme ich noch an, dass sie sofort nach Verübung der Morde und der Plünderung der Gebäude abgezogen sind und nicht noch hier Rast gemacht haben. Im ungünstigsten Fall trennen uns nur ein paar Stunden. Was glaubst du, passiert, wenn wir auf diese Ungeheuer stoßen? Drei tote Mönche, drei tote Knechte, und was mit drei jungen Frauen passieren kann, selbst wenn sie das Ordensgewand tragen, hast du mit eigenen Augen heute ansehen können.«
»Aber er kann uns doch nicht …«
»Er und sein Kamerad sind jetzt nur noch zu zweit. Selbst wenn es ihnen nicht gelingt, einer Begegnung mit den Verbrechern auszuweichen, wird ihnen kaum etwas geschehen. Sie sind uninteressant, und es gibt bei ihnen nichts zu holen.«
»So soll er gedacht haben?«
»Meine liebe Schwester …«, sagte Bruder Girolamo. »Wenn ich mir über etwas sicher bin, dann das.«
»Warum hast du mich nicht aufgehalten?«
»Was?«
»Warum hast du mich nicht beiseitegenommen und gesagt: Schwester Magdalena, halt den Mund, und hör mir zuerst zu, bevor du eine Dummheit begehst?«
Das Schattengesicht unter der Kapuze musterte sie. »Manche Menschen sind nicht glücklich, wenn man sie ihre Dummheiten nicht begehen lässt.«
»Ach so? Ist dir schon mal aufgefallen, dass diese Dummheit dazu geführt hat, dass du genauso in der Klemme steckst? Der Scharführer und sein Kamerad mögen Feiglinge sein, und wenn ich mir ansehe, dass sie ihren dritten Kameraden einfach zurückgelassen haben, wird mir klar, dass du mit deiner Einschätzung recht hast – aber sie hatten Waffen und hätten uns zumindest ein bisschen Schutz geboten. Und du hast zugesehen, wie ich ihnen eine Ausrede geliefert habe, uns im Stich zu lassen, nur weil du beleidigt warst, dass ich dir über den Mund gefahren bin? Und redest über meine Dummheit? Zu welchen Menschen gehörst du – zu denen, die in den Fluss waten und sagen: Geschieht den anderen gerade recht, wenn ich ertrinke?«
Bruder Girolamo schwieg einen langen Augenblick. Dann wandte er sich ab und murmelte: »Ich vergebe dir, Schwester.«
Kochend vor Wut sah Magdalena zu, wie er davonschritt. Unwillkürlich sah sie sich zur Straße um, die nur noch ein helles Band in der Trübnis war, die die untergegangene Sonne zurückgelassen hatte. Die Bäume waren senkrechte Schattenrisse. In Magdalenas Augen sahen sie auf einmal aus wie Kratzer, die eine riesige Klaue in die Gegenwart der Szenerie gerissen hatte, und durch die Kratzer schimmerte die Schwärze des Chaos, das unter der dünnen Kruste der Normalität verborgen lag. Sie wandte sich ab und sah Radegundis und Immaculata im Stall verschwinden, immer noch Hand in Hand. Der Stich, der plötzlich durch ihren Leib fuhr, kam nur zum Teil von den Unpässlichkeiten der fast überstandenen Monatskrankheit.
Ich will auch nach Hause, dachte sie. Aber im Gegensatz zu Schwester Immaculata wusste sie nicht, wo dieses Zuhause sein mochte. Dort, wohin sie ging, war es vermutlich nicht. Hier, wo sie stand, war es auch nicht. Und dort, von wo sie gekommen war, war es nie gewesen.
Kapitel 12.
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