Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Festungsmauern.
Kapitel 1.
L orenzo setzte sich auf und überblickte das Lager. Seine Männer lagen wie formlose Deckenbündel im ersten Morgengrau. Das leise Schnarchkonzert war keinem Einzelnen zuzuordnen und schwebte über dem Platz wie die Rauchschwaden aus den glimmenden Resten des Feuers und der leise Dunsthauch. Lorenzo streifte seine eigenen Decken ab, stand auf und vollführte das übliche männliche Morgenritual: Gähnen, Strecken, Gliederschütteln, ausgiebiges Kratzen von Bauch, Gemächt, Gesäß und Gesicht (in dieser Reihenfolge), während die Verdauung sich bemühte, ihrer Pflicht mit melodischen Tönen nachzukommen; schließlich die Suche nach einem Platz abseits des Lagers, um die Gegend ein bisschen zu wässern. Erst nach Verrichtung all dieser Dinge fühlte man sich einem neuen Tag gewachsen.
Als Lorenzo zurückkam, waren die Ersten ebenfalls aufgewacht und saßen da, die Augen noch blicklos und die Münder weit aufgerissen. Lorenzo stapfte zu einem der unbeweglichen Deckenbündel hinüber und stupste es an, bis ein Gesicht zwischen den Falten zum Vorschein kam. Über Stirn, Nasenrücken und Kinn des Mannes zog sich eine frische Schürfwunde. Die Salbeiblätter, die Lorenzo gestern auf die Verletzung gedrückt hatte, sahen aus wie Schmutz unter dem über Nacht getrockneten Wundschorf. Lorenzo wusste, dass es kein Schmutz war; sie hatten die Besinnungslosigkeit Michèles genutzt und die Wunde sofort mit Wein und Urin ausgewaschen. Auf die spezielle Salbe, die sie für größere Verletzungen mit sich führten, hatten sie verzichtet – sie half, aber sie hätte selbst carrarischen Marmor blind geätzt.
»Alles klar, Michèle?« Lorenzo grinste.
»Der Schädel brummt noch, aber ich sehe nicht mehr doppelt«, sagte der Mann zwischen den Decken schwach.
»Ein Segen, wenn man bedenkt, dass du sonst Lorenzos holdes Antlitz zweifach sehen müsstest«, brummte der Mann, der neben Michèle hockte und gähnte. Er lächelte Lorenzo freundlich an. »Guten Morgen, capitano .«
»Das ist ganz allein Ihre Verantwortung, Ghirardi«, sagte Niccolò. »Wenn wir gestern weitergeritten wären, hätten wir unser Ziel noch erreicht. Ohne große Anstrengung.«
Lorenzo wandte sich zu seinem Truppführer um. Niccolòs Blick war unversöhnlich. Lorenzo hielt es für möglich, dass der Mann vor Ärger die ganze Nacht wachgelegen war.
»Wir hätten Michèle einfach liegen lassen können«, sagte Niccolò. »Wer nicht anständig reiten kann, ist selber schuld. Dann hätten wir den Treck gestern Abend noch erreicht.«
»So siehst du aus«, erklärte der Mann neben Michèle. »Einen Bewusstlosen, den sein Pferd abgeworfen hat, einfach neben der Straße liegen lassen, hilflose Beute für jeden Halunken.«
»So haben wir den Treck von monna Clarice hilflos am Treffpunkt auf uns warten lassen.«
»Hilflos, du meine Güte. Der holde Apfel ist mit mindestens genauso viel Mann Geleitschutz in Mailand aufgebrochen, wie wir hier sind, um sie nach Florenz zu bringen. Hilflos …«
Lorenzo, der inzwischen den Rest seiner Truppe geweckt hatte, hockte sich an die Feuerstelle und stocherte mit einem Ast hinein. Die Glut ließ sich leicht zum Feuer wiedererwecken. Er hängte den Kessel mit der dicken Mehlsuppe niedriger und spähte dann über ihn hinweg in die Weite. In Lorenzos Rücken erhoben sich die Hügel des Appenin, aber vor ihm und zu beiden Seiten war das Land flach wie eine Tischplatte. Dunst lag darüber und glänzte golden in den Strahlen der aufgehenden Sonne, der Himmel war eine weite, fliederfarbene Kuppel. Einzelne Kiefern standen wie die Masten von voll getakelten Schiffen, die über diese ebene Fläche eines zu Landschaft erstarrten gewaltigen Meeres trieben. So sehe ich dich wieder, dachte er. Und dabei hatte ich gehofft, es wäre damals ein Abschied ohne Rückkehr gewesen.
Er senkte den Blick und spähte in die erstarrten Schlieren der dicken Suppe, betrachtete den Ring aus Fettaugen, den das erkaltete Schmalz am Kesselrand entlanggezogen hatte, und wusste, dass er diesen Tag ohne warme Mahlzeit beginnen würde. Niccolò, der eifersüchtig auf Lorenzo und scharf auf dessen Posten als capitano des Hauses Bianchi war, ahnte nicht, dass Lorenzo es kaum weniger eilig hatte, zum Treffpunkt zu gelangen, die künftige Schwiegertochter ihres Herrn in Empfang zu nehmen und wieder nach Hause zu kommen. Es beschwerte die Seele eines Mannes, wenn er statt Brot und Suppe auf seinen Erinnerungen kaute.
»Etwas mehr Respekt
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