Die Braut des Piraten
und der tiefe Tümpel nahm sie wieder auf.
Als sie das nächste Mal an die Oberfläche gelangte, spürte sie Bewegung um sich herum. Männer sprachen in drängendem Flüsterton; ein Stuhl scharrte, eine Tür wurde geöffnet und geschlossen. Unter dem Eindruck der Eile um sie herum ging ihr Atem schneller, doch hielt sie die Augen fest geschlossen, weil sie instinktiv zögerte, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ehe sie wieder zu sich kam, wo immer sie sich befinden mochte.
Als Stille eintrat, blinzelte sie. Sie lag auf dem Rücken, in einem Bett, das keines war. Zumindest ähnelte es keinem der Betten, in denen sie je geschlafen hatte. Tastend bewegte sie ihre Beine und stieß gegen hölzerne Seiten. Sie waren nicht hoch, doch hatte sie das Gefühl, in einer Kiste zu liegen. Sie blickte zu einer Decke aus Eichenplanken auf. Eine Laterne, in der kein Licht brannte, hing an einer Kette. Man brauchte kein Lampenlicht, da grüne Sonnenlichtstreifen durch Fensterläden ein Stück vom Bettfuß entfernt auf den Boden auftrafen.
Doch die Wand war nicht gerade. Sie war mit glänzendem Holz getäfelt und gewölbt. In den Wölbungen saßen Fenster. Sie standen offen, würzige Meeresdüfte wehten mit einer sanften Brise herein.
Olivia drehte ihren Kopf auf dem Kissen, ganz vorsichtig, weil es sie ein wenig schmerzte. Das Kissen unter ihrer Wange war frisch und roch nach Bügeleisen und Morgenluft.
Sie sah vor sich eine Kammer, einen getäfelten Raum mit Fenstern, vor denen einige Läden waren. Auf den schimmernden Eichendielen lagen weiche Orientteppiche. Ein ovaler Tisch, ein Sideboard und ein paar geschwungene Stühle bildeten die Einrichtung. Doch war es kein regelmäßig geformter Raum. Er hatte keine Ecken. Und er schien sich zu bewegen. Ganz leicht nur, aber unverkennbar. Er schaukelte wie eine Wiege.
Wieder schlössen sich Olivias Augen.
Beim nächsten Erwachen schien die Sonne noch immer, und der Raum schwankte unverändert. Sie blickte um sich wie beim ersten Mal. Und diesmal war sie nicht allein.
Am ovalen Tisch stand ein Mann über Papiere gebeugt und mit etwas beschäftigt, das er in der Hand hielt. Olivia schien es, als sei er golden überstrahlt, von einer schimmernden Aura umgeben. Und dann begriff sie … er stand in der einfallenden Sonne, die hellen Strahlen wurden von seinem Haar reflektiert. Haar von der Farbe von Goldguineen.
Von seiner Tätigkeit völlig in Anspruch genommen, stand er reglos da. Nur seine Hände bewegten sich. Er wirkte völlig entrückt und in sich und seine Arbeit versunken. Es war eine Eigenschaft, die Olivia erkannte, da sie sie selbst besaß. Sie wusste, was es hieß, sich in der Welt des Geistes zu verlieren.
Sie war unsicher, ob sie etwas sagen sollte, doch erschien es ihr unhöflich, seine Konzentration zu stören, deshalb lag sie da und beobachtete ihn durch halb geschlossene Augen, tief in der trägen Wärme des eigenartigen Bettes vergraben. Ihr Körper schien nicht wund, aber ihr Hinterkopf schmerzte. Andere Wehwehchen und Schmerzen waren mit einer leichten Benommenheit ihres Kopfes haften geblieben. Sie fühlte sich entrückt, zufrieden, da die Schrecken der Albtraumwelt bezwungen waren. Außerdem war sie sich einer merkwürdigen Beziehung zu dem Mann am Tisch bewusst, ein Gefühl, das zwar ein wenig rätselhaft, aber vor allem beglückend war.
Da fing er zu sprechen an. Er hob den Kopf nicht und blickte auch nicht von seinem Tun auf, sagte aber mit der wohlklingenden Stimme, die ihr aus den Träumen im Gedächtnis geblieben war: »Dornröschen kehrt also in die Welt zurück?«
Seine Worte brachen das Schweigen nicht, vielmehr glitten sie hinein. »Wer seid Ihr?«, fragte sie. Von allen Fragen, die ihr in den Sinn kamen, schien es ihr die einzig wichtige zu sein.
Nun schaute er auf. Seine Hand fiel müßig auf die Papiere auf dem Tisch, als er Olivia mit der Andeutung eines Lächelns betrachtete. »Eigentlich erwartete ich, Ihr würdet Euch über die Stirn streichen und sagen >Wo bin ich?<, oder so etwas.«
Als sie nicht sofort antwortete, kam er um den Tisch herum und hockte sich auf den Rand ihr gegenüber, streckte die Beine und kreuzte sie an den Knöcheln. Da er die Sonne im Rücken hatte, schien sein goldenes Haupt in Flammen zu stehen. Er lachte leise. Seine Zähne blitzten weiß in seinem gebräunten Gesicht, Lachfältchen zeigten sich in den Winkeln seiner tief liegenden grauen Augen. »Wollt Ihr nicht wissen, wo Ihr seid, Lady Olivia?«
Sie fragte sich,
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