Die Braut des Ritters
Avelyn vermochte nicht zu sagen, wessen Erleichterung am größten war, als Warin endlich hielt. Es überraschte sie nicht, dass alle vor der Kapelle versammelten Hochzeitsgäste das Schauspiel mit offenem Munde verfolgten.
Warin glitt aus dem Sattel, wandte sich um und sah, wie Avelyn ihm, umwirbelt von Röcken, in wenig damenhafter Hast folgte, um zu verhindern, dass der Riss sich weiter ins Tuch fraß.
Als ihre Füße den Boden berührten, verharrte sie reglos und wagte kaum zu atmen. Sie wartete, ob alles noch einmal gut gehen oder ob das Kleid platzen würde wie die Haut einer reifen Traube.
„Alles in Ordnung?“, raunte Warin.
„Aye, ich glaube schon“, erwiderte Avelyn flüsternd. Jedenfalls saß das eng gewundene Tuch weiterhin so fest, dass sie kaum atmen konnte.
„Alles noch da, wo es sein soll?“, fragte ihre Mutter atemlos, als sie zu ihnen stieß. Gunnora und Runilda, ebenfalls außer Atem vom Laufen, waren ihr dicht auf den Fersen.
„Aye, ich denke, der Riss ist nicht allzu lang. Wie sehe ich aus?“
Ihre Mutter begutachtete sie prüfend und kniff ihr in die Wangen. „Ein wenig blass, aber ansonsten entzückend.“
Avelyn hielt still, während ihre Mutter versuchte, ihr etwas Farbe ins Gesicht zu zaubern. Die Aufmerksamkeit allerdings, die ihren Wangen zuteilwurde, ließ sie an eine Schmähung denken, mit der Hugo sie vor Jahren gequält hatte. Sie habe Pausbacken wie ein Eichhörnchen mit Nüssen im Maul, hatte er gehöhnt. Eine volle Woche lang hatte er ihr „Paushörnchen, Paushörnchen!“ nachgerufen. Wie lächerlich sie heute aussehen musste, dachte Avelyn - ihr Körper in eine schlanke Form gezwungen und ihr Gesicht nach wie vor pausbäckig.
„So! “ Ihre Mutter trat zurück und strahlte sie an. „Du siehst hinreißend aus. Kannst du den Rest des Weges laufen?“
Avelyn warf hastig einen Blick über die Schulter und maß die Entfernung bis zur Kapellentreppe. Warin hatte früher gehalten, als ihr lieb gewesen wäre, aber sie glaubte, die Strecke bewältigen zu können, wenn sie sich Zeit ließ.
„Aye.“ Sie sog die Wangen ein in dem Versuch, nicht mehr ganz so sehr wie ein Eichhörnchen auszusehen, und wandte sich zum Kirchlein um.
Die Menge teilte sich wie das Rote Meer vor Moses und schuf ihr einen Pfad. Langsam schritt Avelyn dahin. Ganz langsam. So langsam, dass sie kaum vorwärtskam, aber dennoch schon nach wenigen Schritten keuchte und gegen den Schwindel ankämpfen musste.
„Grundgütiger, sie sieht aus wie ein Fisch!“, stieß Wimarc Gerville entsetzt hervor und knurrte gleich darauf ungehalten, als seine Gemahlin ihm den Ellbogen in den Bauch rammte. „Verzeiht... aber es stimmt doch“, murmelte er verdrossen und schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nicht entsinnen, dass sie solch eingedellte Wangen und vorgestülpte Lippen hatte, als wir sie als Kind gesehen und in den Ehevertrag eingewilligt haben. Ihr etwa, Christina?“
„Nay.“ Lady Christina Gerville betrachtete das Mädchen, das da auf sie zutrat. Herr im Himmel, Avelyn Straughton schritt so quälend langsam einher, dass man hätte meinen können, sie sehe dem Tod und nicht etwa ihrem Bräutigam entgegen. Lady Gervilles Augen wurden schmal, als sie Avelyns eingesunkene Wangen musterte. Sie entspannte sich ein wenig. „Ich glaube, sie zieht nur die Wangen ein.“
„Wieso denn das?“, mischte sich Paen in die Unterhaltung ein, während auch er verfolgte, wie seine Braut sich ihm näherte. Falls seine Mutter die Frage beantwortete, bekam Paen es jedenfalls nicht mit, denn seine Verlobte lenkte ihn zu sehr ab. Nicht ihr Aussehen bereitete ihm Sorge. Zwar wirkte sie ums Kinn herum tatsächlich etwas verkniffen und fischähnlich, aber er sah ebenso, dass sie zarte, volle Lippen hatte. Ihre Nase war gerade, und ihre großen Augen waren klar und blau. Ihr wundervolles kastanienbraunes Haar war hochgebunden, sodass nur ein paar Strähnen ihr Gesicht umflossen und ihm etwas Weiches verliehen. Wenn sie nicht gerade ihre Wangen malträtierte, wäre sie weit mehr als nur ansehnlich.
Nay, es war nicht ihr Äußeres, das Paen beunruhigte, sondern ihr Gang. Sie schritt steif wie ein Soldat mit gebrochenen Rippen dahin und so langsam, wie es nur jemand tat, der entweder schwach oder gebrechlich war. Und das Letzte, das Paen sich wünschte, war eine gebrechliche Braut. Er hatte auf eine kräftige, gesunde Frau gehofft, die ihm in den harten Zeiten, die das Leben gewiss für sie bereithielt, Trost und Kraft
Weitere Kostenlose Bücher