Die Braut fuer eine Nacht
kleinen Jungen hatten erleiden müssen.
Sie hat mir dann noch gesagt, ich solle gut auf Billy aufpassen. Danach habe ich sie nie mehr gesehen."
„Wie alt warst du damals?" fragte Kelly leise.
„Ich war vier. Billy war ein Jahr alt."
Kellys Herz klopfte so laut, dass sie glaubte, Steve würde es hören.
„In dem Heim waren wir beinahe fünf Jahre", fuhr Steve fort. „Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, Billy vor den anderen Kindern zu schützen. Kinder können grausam sein, und ich habe alle verprügelt, die uns auch nur schief angesehen haben."
Kelly wagte kaum zu atmen. Das Herz tat ihr weh. Sie hatte die Wahrheit hören wollen, und nun konnte sie sie kaum ertragen.
„In dem Heim wurden wir nicht sehr gut versorgt", berichtete Steve weiter. „Ich habe immer darauf gewartet, dass Billy alt genug würde, damit wir zusammen weglaufen könnten."
Kelly dachte an den kleinen Jungen, der hilflos verzweifelte Träume geträumt hatte.
Und sie dachte an sich selbst und daran, dass auch sie in jungen Jahren für ihre Schwester hatte sorgen müssen.
„Einmal wurde ich eingesperrt, weil ich einen anderen Jungen verprügelt hatte.
Während meiner Abwesenheit nahmen sich die Jungen Billy vor. Sie zwangen ihn, im Freien zu übernachten. Es war kalt, und er bekam eine Lungenentzündung. Daran ist er gestorben. Ein Arzt wurde nicht geholt."
Kelly wischte sich die Tränen ab, die ihr über die Wangen rollten. Steve kniete neben ihr nieder und legte die Hand an ihre Wange.
„Als du mir die Geschichte deiner Schwester erzähltest, dachte ich: Wenn es einen Gott gibt, bekomme ich vielleicht noch eine Chance", sagte er. „Ich dachte, vielleicht könnte ich es wiedergutmachen, indem ich Colleen half. Aber ich schwöre dir, Kelly, alles andere habe ich nicht gewollt."
„Ich weiß", erwiderte Kelly mit gepresster Stimme. Steve sah sie so traurig an. Zum ersten Mal erlaubte er ihr, hinter die Fassade zu blicken, die er um sich herum errichtet hatte.
„Du wartest auf ein Wunder, Kelly, und das kann ich dir nicht geben. Ich kann das Risiko nicht eingehen, noch einmal einen Menschen zu verlieren, den ich liebe."
Kelly hatte so lange auf diese Worte gewartet, hatte sich vorgestellt, wie es sein würde, sie aus seinem Mund zu hören. Jetzt war sie nicht einmal sicher, ob Steve sich überhaupt bewusst war, was er gerade eben gesagt hatte. Aber eines wusste sie genau: Er schickte sie weg.
„Ich werde alles tun, was ich kann, damit dein Drehbuch verkauft wird. Aber ich denke, unser Zusammenleben sollten wir jetzt beenden."
Den Rest des Abends verbrachte Kelly damit, ihre Sachen zu packen.
In etwas mehr als fünf Monaten war ihre ganze Welt aus den Grundfesten geraten. Sie wusste nicht, was Steve wegen ihrer Scheidung unternehmen würde, aber nichts würde mehr so sein wie zuvor.
Sie musste weg von hier, weg von diesem Mann, den sie von ganzem Herzen liebte und der sie nicht lieben konnte, der nicht wollte, dass sie bei ihm blieb.
In der untersten Schublade fa nd sie den dicken Umschlag mit ihrem zweiten Drehbuch. Sie hielt ihn einen Augenblick in der Hand und dachte daran, wie viele Hoffnungen und Träume darin steckten. Während sie es schrieb, hatte sie immer noch gehofft, dass ihre Ehe mit Steve nicht in einer Scheidung enden würde.
Sie verschloss den Umschlag und schrieb Steves Namen darauf. Steve würde das Script gut unterbringen, davon war sie überzeugt.
Als sie fertig gepackt hatte, setzte sie sich an den Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und einen Stift. Sie wollte Steve noch eine kurze Notiz hinterlassen.
Sie starrte auf das leere Blatt und versuchte, die richtigen Worte zu finden, um auszudrücken, was ihr Herz bewegte. Dass sie ihn liebte, wusste er, das brauchte sie nicht zu betonen.
Nur einen einzigen Satz schrieb sie auf das Papier, mehr gab es nicht zu sagen. Sie faltete es, steckte es in einen Umschlag und trat dann mit den beiden Umschlägen in den Flur.
Sie fand Steve schlafend in seinem Zimmer. Er sah erschöpft aus, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen.
Lange stand Kelly vor dem Bett und sah ihn an. Wahrscheinlich zum letzten Mal, dachte sie. Nach allem, was er ihr an diesem Abend erzählt hatte, wollte er sie sicher nie wiedersehen.
Sie überlegte, ob sie jetzt schon ein Taxi rufen sollte. Doch augenblicklich fühlte sie sich zu erschöpft. Deshalb ging sie in ihr Zimmer zurück, stellte den Wecker auf sechs Uhr und kletterte dann in ihr Bett.
Eine Stunde später wachte Steve
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