Die Braut im Schnee
Lampen wieder aus. Sie zogihren Mantel an. Bevor sie die Haustür hinter sich ins Schloss zog, horchte sie noch einmal ins Innere des Hauses. Alles war ruhig.
FÜNFZEHN
Marthaler hatte nur wenige Stunden geschlafen. Immer wieder war er aus seinen Träumen aufgeschreckt, hatte sich unruhig hin- und hergewälzt und sich gezwungen, noch eine Weile liegen zu bleiben, um eine weitere halbe Stunde Schlaf zu finden.
Noch in der Nacht hatten sie mit dem Pressesprecher der Polizei telefoniert und ihn gebeten, sofort eine Konferenz mit den wichtigsten Agenturen und Sendern einzuberufen. Sie hatten Tollers Foto vervielfältigt und an alle Medienleute weitergegeben. Am späten Abend war die Fahndungsmeldung in allen großen Nachrichtensendungen ausgestrahlt worden.
Tollers Wohnung in Oberrad, sein Dachboden und seine Kellerräume waren durchsucht, alle persönlichen Unterlagen, sämtliche Aufzeichnungen, Fotoalben und Aktenordner, seine Videokamera und seine beiden Computer ins Weiße Haus transportiert worden. Man hatte, soweit in der Kürze der Zeit möglich, Kontakt zu Freunden, Verwandten und zu seinen ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten vom 8. Revier aufgenommen. Niemand hatte ihn seit dem gestrigen Morgen gesehen. Aber die Durchsicht seiner alten Unterlagen ergab, dass er während der Zeit, als Gabriele Hasler ermordet worden war, dienstfrei gehabt hatte.
Sie hätten gerne mit Raimund Steinwachs gesprochen, aber Tollers bester Freund hatte vor ein paar Tagen kurzfristig Urlaub genommen. Gegen 22.00 Uhr hatte man einen Streifenwagen zu dessen Haus nach Nieder-Eschbach geschickt, aber das Haus verschlossen und dunkel vorgefunden.
Marthaler stand auf. Er wankte noch immer vor Müdigkeitund Erschöpfung. Er ging in die Küche und schaltete das Radio ein. Er machte sich einen Espresso und wartete auf die Sieben-Uhr-Nachrichten. Wieder brachten sie die Suchmeldung nach Kerstin Henschel und ihrem mutmaßlichen Entführer Raimund Toller. Obwohl seit dem gestrigen Abend zahllose Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen seien, sagte der Sprecher, habe man noch immer keine heiße Spur.
In der anschließenden Sondersendung wurde eine Stellungnahme des Polizeipräsidenten ausgestrahlt, in der Gabriel Eissler betonte, dass es sich bei der laufenden Fahndung um eine der umfangreichsten Aktionen in der Geschichte der Frankfurter Polizei handele. Er bat die Bevölkerung um Verständnis, dass es durch die errichteten Straßensperren und die Kontrollmaßnahmen auf den Bahnhöfen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu Behinderungen und Unannehmlichkeiten kommen könne.
Als Marthaler seine zweite Tasse Espresso getrunken hatte, wurde die Küchentür geöffnet. Tobi schaute ihn aus verschlafenen Augen an.
«Habt ihr ihn gefunden?», fragte er.
Marthaler verneinte. «Aber bald», sagte er. «Du hattest Recht. Es war ein Polizist, der die Frauen ermordet und dich verfolgt hat. Aber er weiß nicht, dass du hier bist.»
«Opi und ich haben den ganzen Abend ferngesehen», sagte Tobi. «Wir machen uns Sorgen.»
«Ich weiß», sagte Marthaler. «Hast du ihn wiedererkannt auf dem Foto, das sie gezeigt haben?!»
«Ich bin mir noch immer nicht sicher», sagte der Junge. «Werde ich ihm gegenübergestellt?»
«Ja», sagte Marthaler, «es könnte passieren, dass du ihn dir anschauen musst, wenn wir ihn verhaftet haben. Aber jetzt leg dich wieder hin. Schlaf noch ein wenig. Ich backe euch ein paar Brötchen auf, die könnt ihr später essen.»
Tobi nickte. Dann gähnte er und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sich wieder aufs Sofa rollte.
Marthaler ging ins Bad und duschte so heiß wie möglich. Dann zog er sich an.
Als er das Haus verließ, schneite es. Die Dächer waren weiß, aber auf den Straßen blieb der Schnee nicht liegen.
Er hatte gerade sein Büro betreten und wollte die Meldungen auf seinem Schreibtisch durchsehen, als Walter Schilling hereingestürmt kam. «Hast du schon gehört?»
«Was soll ich gehört haben?», fragte Marthaler.
«Lass deinen Mantel an! Am besten, wir fahren sofort los.»
«Walter, was ist? Kannst du mir vielleicht erklären …»
«Es lief gerade über den Funk. An den Eschbacher Klippen ist eine Leiche gefunden worden.»
Marthalers Atem stockte. «Eine Leiche …? Ist es …?»
«Keine Ahnung – man weiß noch nicht einmal, ob es eine Frau ist. Ich habe sofort in Usingen angerufen. Die Nachricht ist gerade erst hereingekommen. Ein Spaziergänger, der mit seinem Hund
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