Die brennende Gasse
«
» Nein, sicher nicht. Sie würden von Unglauben und Entsetzen berichten. «
» Ich vermute, daß ich es deswegen auch nicht hören wollte. «
» Kann man denn irgend etwas tun? «
» Es gibt Leute, die daran arbeiten – da ist eine junge Frau, die sehr viel von Genetik versteht, eine wirkliche Expertin, und sie widmet ihre ganze Zeit diesem einen Problem. «
» Das ist, als würde Tay-Sachs, die damalige Geschichte, wieder von vorn anfangen «, warf Myra ein.
» Schlimmer, glaube ich. «
» Diese Frau, diese Expertin – ist sie eine Jüdin? «
Kristinas Herkunft war etwas, worüber Janie sich noch nie Gedanken gemacht hatte – die eigenartige junge Frau hatte so vieles andere, das ihr zu denken gab. » Ich habe sie nie gefragt «, sagte sie.
» Ihr Familienname ist Warger. Wenn ich raten sollte, würde ich auf einen keltischen Hintergrund tippen. Sandfarbenes Haar, blaue Augen, sehr groß und starkknochig. «
» Nein, das hört sich nicht so an, obwohl man es heutzutag e w irklich nicht mehr sagen kann. Als ich ein Mädchen war, herrschte eine andere Situation. Damals wußten wir alle, wer wir waren. Aber wirklich interessiert mich, ob sie g ut ist.«
Janie wußte nicht recht, was sie sagen sollte. »In Situationen wie dieser gibt es immer verschiedene Definitionen von ›gut‹; aber ich kann Ihnen versichern, sie ist brillant, i nnovativ und kann klar denken. Sie hat gewisse – Marotten, aber ihre Arbeit kommt mir sehr gründlich vor. «
» Weil in solchen Fällen «, fuhr Myra fort, » die absolut besten verfügbaren Leute nötig sind. «
» Da liegt das Problem «, sagte Janie zu ihr. » Deswegen brauche ich Ihre Hilfe. Uns fehlt ein Stück des Puzzles, und zwar ein wichtiges. Sogar Einstein würde an dieser Arbeit scheitern, wenn er ein bestimmtes Material nicht hätte. «
» Gibt es irgendeine Chance es zu beschaffen – wie auch immer? «
» Wir versuchen es. Aber bis jetzt haben wir keinen Erfolg. «
» Das klingt ja fast hoffnungslos. «
» Ich gebe es nur sehr ungern zu, aber genauso kommt es mir vor. « Janie hielt einen Moment inne, als wolle sie ihre Gedanken ordnen. In Wirklichkeit nahm sie all ihren Mut zusammen. » Als sie und ich gestern nacht zusammensaßen und uns die Köpfe darüber zerbrochen haben, wie wir dieses Problem lösen sollen, kam mir eine Idee. Eigentlich mehrere auf einmal. «
Sie trank einen Schluck Wasser, den sie sehr nötig hatte, denn ihr Mund fühlte sich so trocken an, als wäre er mit Watte gefüllt. » Wir suchen nach einer Quelle für ein gewisses kleines Segment eines Gens. Von einem Spender – ob lebendig oder tot, spielt keine Rolle. Die Leute, die mit größter Wahrscheinlichkeit Träger dieses Gens sind, sind Juden. Wir haben in … bestimmten Datenbanken, wo wir es zu finden hofften, sehr gründlich gesucht. Aber es war nicht verfügbar. Dann fiel mir ein, daß es in anderen Ländern vermutlich eine Menge Juden gibt, deren genetisches Material bei keiner Regierung registriert ist. Ich stelle mir vor, wenn ich dieselben Erfahrungen hätte wie sie vielleicht, würde ich auch so ungefähr alles tun, um eine Registrierung zu vermeiden. «
Myras Stimme klang flach, emotionslos. » Sie sprechen natürlich von Holocaust-Überlebenden und deren Familien. «
» Ja. Das sind größtenteils europäische Juden, was bedeutet, da ß e ine größere Chance besteht, jemanden zu finden – die meisten unserer Jungen stammen auch aus Europa. «
Mrs. Ross seufzte. » Ich weiß sehr wenig über Genetik; aber doch genug, weil sie eine große Sorge für einige Juden darstellt, die sich auskennen. « Sie lächelte gezwungen und ergänzte: » Es gibt schon solche Leute. – Wissen Sie, die Population der europäischen Juden wurde durch den Holocaust und dann durch die Ausbrüche so dezimiert, daß der Genpool geschrumpft ist – manche sagen sogar, gefährlich geschrumpft. Allerdings habe ich keine Ahnung, was das bedeutet. Offen gestanden ist das alles für mich sehr erschreckend, denn es hat zu einigen beunruhigenden Diskussionen geführt. Es war die Rede von Tests für potentielle Ehegatten in einer Art organisiertem Programm, damit einige verstärkte genetische Merkmale, unter denen wir leiden, nicht weitergegeben werden und uns schwächen. Tay-Sachs, die Neigung zu Ovarial- und Brustkrebs – diese Dinge könnten uns wesentlich effizienter vernichten, als Hitler sich je hätte träumen lassen. «
» Davon habe ich noch nie gehört! « Janie war
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