Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
letzten Kurve gelöst, jetzt schnappt sie sich ihre Polenmarkt-Einkaufstasche, aus der oben Grablichter, Küchenrollen und hautfarbene Kniestrümpfe rausschauen, und springt aus dem Wagen.
» Omilein!«, rufe ich empört.
Nicht dass ich ihr erlaubt hätte, auch nur eine einzige der fünfzehn Kisten Wein, die sich auf der umgeklappten Rückbank stapeln, ins Haus zu tragen, aber anbieten hätte sie’s mir ja wohl schon können. Zumindest theoretisch.
» Heit is Bratwursttag!«, sagt sie unwirsch, knallt die Tür hinter sich zu und marschiert, dass das Herbstlaub nur so durch die Luft wirbelt, auf den Kücheneingang zu. Der weiße Langnese-Abfalleimer, der daneben steht, hat Augen, Nase und einen Mund, in den man seinen Müll wirft. Er sieht aus, als lache er mich aus.
Der Bratwursttag ist heilig in den Minghartinger Stuben. Omis Hausmacherwürste sind im ganzen Oberland bekannt. Entsprechend ist der Donnerstag der einzige Wochentag, an dem das Geschäft auch mittags brummt – abgesehen vom Sonntag natürlich (Weißwurstfrühstück, mehr sag ich nicht). Und tatsächlich, obwohl es noch nicht einmal halb zwölf ist, sehe ich ihn auch schon, den ersten Bratwurst-Aspiranten: den Rubenbacher Sepp, der früher die Schreinerei schräg gegenüber hatte. Wie ein hungriger Tiger läuft er in seinem grauen Lodenjanker vor dem Wirtshaus auf und ab. Als er mich aus dem Wagen steigen sieht, reißt er seinen Hut vom Kopf.
» Servus, Breznkönigin!«, ruft er und lacht.
Ich verziehe den Mund zu einem Grinsen. Breznkönigin nennt er mich, seit ich mit vierzehn bei einem Schülerturnier im Minghartinger Schützenverein einspringen musste und prompt gewonnen hab, gemeinsam mit seinem Sohn Max Rubenbacher, der Wurstkönig wurde, ebenfalls gegen seinen Willen. Es gibt ein grässliches Foto von uns beiden, das eingerahmt auf Omileins Nachtkästchen steht. Max und ich in Tracht, er mit einer Kette aus dicken Regensburgern um den Hals, ich mit einer aus Brezn. Wir grinsen beide angestrengt in die Kamera, zu alt, um uns unschuldig zu freuen, und zu jung, um dem Irrsinn etwas Ironisches abzugewinnen. Siebzehn Jahre ist das jetzt ungefähr her, und seit siebzehn Jahren nennt der Rubenbacher Sepp mich so.
» Servus, Herr Rubenbacher«, rufe ich.
» Bitte?«, schreit er und zupft an seinem Ohrläppchen.
» Kauf dir a Hörgerät!«, erwidere ich, aber natürlich nur so laut, dass er’s nicht hört.
» Hä?«, macht er und reißt es sich jetzt fast aus, sein Ohrli.
» Griasss eahnaaa!«, rufe ich überdeutlich und winke, als hätte ich es mit einem Dreijährigen zu tun, so lange, bis er’s endlich kapiert. Er lächelt und winkt, dann sperrt die Omi die Tür zum Wirtshaus auf, und der Rubenbacher marschiert ins Haus. Ich muss nicht dabei sein, um bildlich vor Augen zu haben, was nun passiert. Er wird sich an dem Platz hinten links in der Ecke niederlassen, der schon seit Ewigkeiten » sein« Platz ist, die Speisekarte aufschlagen und froh sein, dass in dem Lampenschirm über ihm eine eigens für seine schlechten Augen eingedrehte 70-Watt-Halogenlampe glüht. Dann wird er mit geradezu rührender Gründlichkeit die Aktionskarte studieren, die auch schon dieselbe war, als er sie noch lesen konnte.
Montag: Wollwursttag
Dienstag: Ruhetag
Mittwoch: Schafkopfen
Donnerstag: Bratwursttag
Freitag: Krustenbratentag
Samstag: Haxntag
Sonntag: Weißwurstfrühstück
Alt ist er geworden, der Rubenbacher Sepp, das fällt mir wieder einmal auf. Dabei ist er noch nicht einmal siebzig. Schmal und schwerhörig und traurig sitzt er da unter seiner Lampe. Das Omilein meint, dass das daran liegt, dass seine Frau gestorben ist, kurz nachdem er in Rente ging. Wer weder arbeiten kann noch lieben, sagt sie, der verkümmert wie ein Kasten Geranien, den keiner mehr gießt.
Und da weiß das Omilein leider, wovon es spricht. Ihr Mann ist nämlich auch früh gestorben, zumindest so früh, dass ich mir nicht sicher bin, ob die Bilder, die ich von ihm im Kopf hab, meine eigenen sind oder nicht doch bloß aus alten Erzählungen und Fotoalben stammen. Sicher aber weiß ich, dass mein Opa drei große Lieben hatte: das Omilein (und ihre gute Küche), den FC Bayern und seine BMW , ein schon damals unglaublich altes Motorrad, das immer noch hinten in Papas Scheune steht. Eine schicksalhafte Kombination: Nach einem Ausflug zum Lokalderby im Münchner Olympiastadion hatte er es so eilig, rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen, dass er irgendwo auf dem
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