Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
stand. Ihr Vater ist Lehrer an der Volksschule und ihre Mutter stand jahrelang beim Bachhuber hinter der Theke. Nach dem Abitur haben wir uns beide in Pforzheim auf der Goldschmiedeschule eingeschrieben. Wir haben zusammen in einer WG am Rande der Altstadt gewohnt und nächtelang nichts anderes gemacht, als uns bei Rotwein und selbstgemachter Bolognese-Sauce unsere tiefsten Geheimnisse und Wünsche zu erzählen.
Goldschmiedekunst – für uns beide war das damals der Traumberuf. Wenn wir da im Kerzenschein an unserem kleinen Esstisch saßen, malten wir uns aus, wie es sein würde, wenn wir erst unseren eigenen, gemeinsamen Laden hätten, irgendwo, wo das Leben viel mehr zu bieten hat. In München oder Augsburg oder Nürnberg. Wir stellten uns vor, wie herrlich es sein würde, frei und unabhängig zu sein und das zu machen, was wir wollten, und darauf zu pfeifen, was unsere Familien dazu sagten. Aber als wir die Schule abgeschlossen hatten und fast schon mit der Anschlusslehre fertig waren, die wir beide in ähnlich verschnarchten Pforzheimer Juweliergeschäften absolvierten, lernte Bea auf einer Party einen Pforzheimer Steuerberater kennen, in dessen Kanzlei sie gleich nach Ende unserer Ausbildung als Teamassistentin einstieg. Mann, war ich da enttäuscht. Unser eigener Laden war in weite Ferne gerückt. Und als dann auch noch die Babsi schwanger wurde, die damals an meiner Stelle in den Stuben die Kellnerin gemacht hat, und das Omilein lauthals meine Rückkehr nach Mingharting verlangte, war es mit der Träumerei endgültig vorbei.
Die Jahre rasten nur so dahin, während ich mich im Wirtshaus abrackerte und die Bea sich im Büro von ihrem Typen. Es war so viel zu tun, dass ich immer nur an Weihnachten merkte, dass schon wieder ein Jahr vergangen war. Irgendwann gab es zwischen Bea und ihrem Typen eine Krise (eine sehr, sehr blonde und schlanke Krise, die plötzlich schwanger war), und Bea lernte einen New Yorker Anwalt kennen – ausgerechnet auf der Flucht zu mir, beim Umsteigen am Frankfurter Hauptbahnhof. Dann ging alles ganz schnell: Sie verließ den Steuerberater, zog zu Jasper nach New York, und sechs Wochen später fand die Hochzeit auf den Virgin Islands statt, direkt am Strand, mit Blumen im blonden Haar und nur ganz wenigen Gästen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich Europa verließ. Zum Glück half mir Bea, den monströsen Sonnenbrand, den ich mir gleich am ersten Tag holte, mit Make-up zu kaschieren, sodass man ihn auf den Hochzeitsfotos, die Jaspers cooler Fotografenfreund machte, kaum sieht. Ein Jahr ist das jetzt her.
Inzwischen wohnt sie in einer Gegend namens Park Slope in Brooklyn, in einem sogenannten Brownstone. Die Ecke muss total in sein, denn allein in ihrer Straße wohnen Tom Hanks und drei berühmte Schriftsteller. Und seit Kurzem arbeitet sie sogar wieder als Goldschmiedin, in einem Laden, in dem Hollywoodstars ihre Verlobungsringe bestellen. Vor ein paar Monaten kam sogar James Franco vorbei und hat sich umgesehen – und das, obwohl er Single ist. So cool ist der Laden.
» Ach, Fanny«, sagt Bea, als wir uns wieder beruhigt haben. » Du musst echt zusehen, dass du langsam mal wegkommst aus deinem Dörfchen.«
» Ach ja?«
Das versetzt mir einen Stich. Seit Bea weg ist, redet sie ständig davon, wie toll und befreiend es sei, ein neues Leben anzufangen.
» Ja, Fanny«, sagt sie mit abgeklärter Miene.
» Danke für den Tipp«, sage ich zynisch.
» Ich meine es ernst, Fanny. Wenn du immer nur rumsitzt und wartest, dass von alleine etwas passiert, passiert am Ende womöglich gar nichts.«
» Du tust grad so, als gäb’s da draußen wer weiß wie viele freie Stellen für Goldschmiede, die alle bloß drauf warten, dass ich mich um sie bewerbe. Außerdem sitze ich nicht rum. Ich schufte wie eine Idiotin.«
» Fanny, das meine ich nicht«, sagt sie und schaut mich über den halben Globus hinweg an wie eine … keine Ahnung. Wie eine Grundschullehrerin.
» Hab ich dir von der letzten Stelle erzählt, auf die ich mich beworben habe? Diese Internet-Trauringfirma?«, fahre ich sie an, viel heftiger, als ich eigentlich will.
» Ja, Fanny, hast du. Das war blöd, aber …«
» Das war blöd?«
Ich schnappe nach Luft. Blöd nennt sie das! Oh, wenn ich nur daran denke! Trau(m)ringe online hieß der Laden, bei dem die Kunden allen Ernstes die Möglichkeit hatten, ihre Ringe in einem sogenannten Trau(m)ringkonfigurator selbst zu designen. Meine Aufgabe wäre es gewesen, diese
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