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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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grauenhaften Grammatik (die ich nicht zu korrigieren beschloss) und trotz der Verbohrtheit, mit der sie im Fernsehen nichts anderes als Zeichentrickfilme sehen wollte (hier sprach ich ein Machtwort und schränkte ihren Konsum auf eine Stunde pro Tag ein), bereute ich es keine Sekunde, dass ich sie bei mir aufgenommen hatte.
    Dennoch blieb die beunruhigende Tatsache ihrer Weigerung, irgendetwas von ihrer Mutter zu erzählen. Aurora war das Gespenst, das über unseren kleinen Haushalt herrschte, und ganz gleich, wie oft ich Lucy fragte, ganz gleich, wie oft ich ihr die kleinste Information zu diesem Thema zu entlocken versuchte, es führte mich keinen Schritt weiter. Gewiss hatte eine solche Willensstärke bei einem so jungen Menschen etwas Bewundernswertes, mich aber regte es auf, und je länger sich dieses Patt hinzog, desto größer wurde meine Frustration.
    «Deine Mutter fehlt dir bestimmt sehr, Lucy, oder?», fragte ich sie eines Abends.
    «Sie fehlt mir ganz schrecklich», sagte sie. «Sie fehlt mir so sehr, dass mir das Herz wehtut.»
    «Du möchtest sie gern wiedersehen?»
    «O ja. Ich bete jeden Abend zu Gott, dass sie zu mir zurückkommt.»
    «Das wird sie. Du brauchst mir nur zu sagen, wo wir sie finden können.»
    «Das darf ich nicht, Onkel Nat. Das habe ich dir schon so oft gesagt, aber anscheinend hörst du mir nie richtig zu.»
    «Ich höre dir zu. Ich will doch nur, dass du nicht mehr traurig bist.»
    «Ich kann nicht darüber reden. Ich hab’s versprochen, und wenn ich mein Versprechen breche, muss ich in der Hölle braten. Die Hölle ist für ewig, und ich bin noch einkleines Mädchen. Ich bin noch nicht so weit, dass ich ewig braten will.»
    «Es gibt keine Hölle, Lucy. Und du wirst nicht braten, nicht mal eine Minute lang. Alle haben deine Mutter gern, und wir wollen ihr nur helfen.»
    «Falsch. So ist das nicht. Bitte, Onkel Nat. Frag mich nicht mehr nach Mama aus. Es geht ihr gut, und eines Tages kommt sie zurück zu mir. Das weiß ich genau, und mehr kann ich dir nicht sagen. Wenn du weiterfragst, werde ich wieder so wie damals, als ich hierher gekommen bin. Dann mache ich den Mund zu und sag kein Wort mehr zu dir. Und was würde uns das bringen? Es ist so schön, wenn wir uns unterhalten. Solange du mich nicht nach Mama fragst, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen. Als mit dir zu reden, meine ich. Ich finde dich unheimlich nett. Müssen wir uns denn diese Freude verderben?»
    Nach außen hin wirkte sie rundum glücklich und zufrieden, aber mich beunruhigte der Gedanke an die Qualen, die sie durchzustehen hatte, um ihr Geheimnis nicht zu verraten. Es war von einer Neuneinhalbjährigen zu viel verlangt, mit einer so schweren Verantwortung durch die Welt zu gehen. Das konnte ihr nur schaden, und ich fand einfach keine Möglichkeit, dem ein Ende zu machen. Ich sprach mit Tom darüber, ob wir sie zu einem Psychiater schicken sollten, aber das hielt er für reine Zeit- und Geldverschwendung. Wenn Lucy schon nicht mit uns reden wollte, würde sie erst recht nicht mit einem Fremden reden. «Wir müssen geduldig sein», sagte er. «Früher oder später wird es ihr zu viel, und dann kommt alles heraus. Aber sie wird erst reden, wenn sie wirklich bereit dazu ist.» Ich nahm mir Toms Rat zu Herzen und gab die Idee mit dem Arzt fürs Erste auf; das hieß aber nicht, dass ich seine Meinung teilte. Die Kleine würde niemals bereit sein. Sie war so zäh, so verstockt, soverdammt unnachgiebig, dass sie nach meiner Überzeugung ewig durchhalten würde.
    Ich begann meine Arbeit für Tom am Vierzehnten, drei Tage nachdem wir Harrys Asche im Prospect Park verstreut hatten und Rufus zu seiner Großmutter nach Jamaika abgereist war. Am Tag danach kam meine Tochter aus England zurück. Seit der verhängnisvollen Unterredung mit der jetzt Unaussprechlichen, die meine Tochter geboren hatte, hatte ich unablässig an den Fünfzehnten gedacht, jedoch war ich im Strudel der Ereignisse nach unserer hastigen Abreise aus dem Chowder Inn so abgelenkt, dass ich kaum noch wusste, welches Datum wir gerade schrieben. Nun hatten wir also den fünfzehnten Juni, nur dass ich in meiner Konfusion nichts davon mitbekam. Um sechs machten wir den Laden zu; Tom, Lucy und ich nahmen im Second Street Café ein frühes Abendessen ein, und dann gingen Lucy und ich nach Hause, wo wir uns die Zeit bis zum Schlafengehen mit einer Partie Monopoly oder Clue vertreiben wollten. Bevor wir damit anfingen, hörte ich Rachels Nachricht auf dem

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