Die Bruderschaft Christi
denjenigen, an den wir Christen glauben, was sollen wir dann überhaupt noch glauben?«
»Die Schriften sind zweitausend Jahre alt, aber niemand garantiert, dass die Überlieferungen wahr sind. Was ist, wenn dein Jesus tatsächlich existierte und das Vermächtnis des Lehrers der Gerechtigkeit ein falsches Bild widerspiegelt?«
Tom ließ sich auf das Bett zurücksinken. »Vielleicht ist es genau diese Ungewissheit, die mir zu schaffen macht. Wir Wissenschaftler suchen nach Beweisen. Und erst wenn wir zweifelsfrei die Wahrheit kennen, mehrfach verifiziert und mehrfach überprüft, dann nehmen wir sie als gegeben hin.«
»Wahrheit, Lüge, wer kann es unterscheiden? Die Schriften werden in den Bibliotheken des Vatikans auf immer und ewig verschwinden, und die Übersetzungen zweier anerkannter Wissenschaftler sind verbrannt. Es ist nichts mehr übrig, woraus wir die Wahrheit erkennen können.«
Tom richtete sich auf. »Diese Welt braucht ihren Gott. Egal ob er Allah, Buddha oder Jesus heißt. Der Mensch will einfach an eine übergeordnete Macht glauben. Ich glaube tatsächlich, dass es das Zusammenleben ein wenig erträglicher macht. Ich will niemandem etwas beweisen, verstehst du. Aber ich will für mich Gewissheit. Seit ich mit Jungblut geredet habe, schlafe ich schlecht.«
»Dann holen wir uns einfach die Gewissheit«, antwortete Moshav.
Tom schaute ungläubig. »Und wie willst du das anstellen?«
Moshav erhob sich. »… auf ewig den Blick in das Wasser des Lebens gerichtet, so sitzt Goliath auf dem Felsen, der Riese, den David gerichtet, David dem König der Juden«, sagte er.
»Du konntest dir merken, was Jungblut gesagt hat?«
»Ich habe eine Kugel an den Kopf gekriegt, und ich habe verdrängt, was passiert ist, als die Gangster die Hütte stürmten, aber ich kann mich noch genau an die Worte des Professors erinnern.«
»An jedes Wort?«
»An jedes Wort«, gab Moshav zurück.
Tom lächelte. »Worauf warten wir dann noch, auf nach Masada«, sagte er entschlossen.
»Auf nach Masada!«, bestätigte Moshav und erschrak, weil er die Worte laut herausgeschrien hatte.
59
Rom, Città del Vaticano …
Der Abspann flimmerte über den großen Bildschirm, die Namen aller Beteiligten wurden genannt, der Kameramann, der Tontechniker, der Regisseur, und am Ende stand der Name des Produzenten, des in der ganzen Welt bekannten und für seine sensationellen Inszenierungen bewunderten James Camorra. Niemand würde wissen, wer tatsächlich hinter der Produktion dieses aufwendigen Werkes steckte.
Pater Leonardo erhob sich und atmete tief ein. Er war zufrieden. Ein Glück, dass in Talpiot bei Bauarbeiten dieses Grab tief in der Erde entdeckt wurde. Zwar war dies bereits im Jahre 1980 gewesen, aber die Welt hatte nur kurz davon Kenntnis genommen, und dann war die Sache wieder in Vergessenheit geraten. Mit Camorra als Produzent würde nun die ganze Welt in Aufruhr und Hysterie geraten, bis dann die wissenschaftliche Widerlegung aller Theorien über die gleichen Kanäle ausgestrahlt wurde. Doktor Tabors Theorie war eben nur eine Sicht der Dinge. Entsprechend dargestellt und einseitig inszeniert, würde es ausreichen, die Menschen eine kurze Zeit zu beeindrucken. Die Knochenkästen der Jesusfamilie. Jeder einzelne wies den eingeritzten Namen des Verstorbenen auf. Mariamenou, Yehudah bar Yesuha, Matyah, Yoseh, Maryah und Yeshua bar Yosef selbst. Lange Jahre waren Ossuare mit den Nummern 701 bis 706 in den Magazinen der Israelischen Antikbehörde verstaubt. Doch nun würden sie für einen kurzen Moment im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ganzen Welt stehen, bis dann der anerkannte Universitätsprofessor Jürgen Zangenberg von der Universität in Leiden Tabors Thesen Stück um Stück auseinandernehmen und am Ende nur Ratlosigkeit bei den Menschen auslösen würde. Ratlosigkeit und Verwirrung, das waren die Waffen des 21. Jahrhunderts. Schnell würde die Öffentlichkeit das Interesse verlieren, würde die Behauptungen des Forschers als pures Streben nach Aufmerksamkeit abtun und sich wieder dem Alltag widmen. Und selbst wenn dann ein weiterer Wissenschaftler neue Behauptungen und neue Grabfunde vermelden würde, wäre niemand mehr bereit, diesem Thema auch nur ein Ohr zu widmen.
Der Sendetermin über das Talpiot-Grab stand fest. In zwei Tagen sollte die BBC diesen Film ausstrahlen. Weitere Fernsehsender in aller Welt hatten Lizenzen gekauft, so dass am Ende sogar noch die gigantische Summe der Produktionskosten nahezu
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