Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
eingezogen worden war. Viele Jungs waren mit dem glühenden Wunsch aus Vietnam zurückgekehrt, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder nicht das Gleiche durchmachen mussten wie sie. Da Tobias sich freiwillig gemeldet hatte, vermutete ich, dass er entweder gegen seinen Vater rebelliert oder dessen Anerkennung gesucht hatte.
Anschließend öffnete ich die Akte über Bobby Jandreau, der in Bangor auf die gleiche Highschool gegangen war wie Tobias, auch wenn fast ein Jahrzehnt zwischen ihnen lag. Jandreau war während seines letzten Einsatzes im Irak bei einem Gefecht in Gazaliya schwer verwundet worden. Die erste Kugel hatte ihn am Oberschenkel getroffen, und als er am Boden lag, gaben die schiitischen Milizionäre, die seinen Konvoi angegriffen hatten, weitere Schüsse auf ihn ab, um seine Kameraden zu einer Rettungsaktion zu verleiten und dem Trupp weitere Verluste zuzufügen. Jandreau war schließlich in Sicherheit gebracht worden, aber seine Beine waren zerschmettert. Man war zu dem Schluss gekommen, dass nur eine Amputation in Frage kam.
Ich wusste das alles, weil sein Name in einem Zeitungsartikel über verwundete Veteranen aus Maine genannt worden war, die versuchten, mit dem Zivilistendasein zurechtzukommen. Damien Patchett wurde als der Kamerad erwähnt, der Jandreau das Leben gerettet hatte, doch als Damien um einen Kommentar gebeten wurde, hatte er abgelehnt. Im Laufe des Artikels räumte Jandreau ein, dass er sich durchs Leben quäle. Er sprach von einer Medikamentenabhängigkeit, die er gerade mit Hilfe seiner Freundin überwinden wolle. Der Reporter bemerkte dazu: »Jandreau starrt aus dem Fenster seines Hauses in Bangor und umklammert mit beiden Händen die Armlehnen seines Rollstuhl. ›Ich habe nie gedacht, dass es mir einmal so ergehen würde‹, sagte er. ›Wie den meisten Jungs war mir klar, dass so was passieren könnte, aber ich habe immer geglaubt, dass es jemand anders treffen würde. Ich versuche, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, aber da ist nichts, soweit ich das sehen kann. Es ist einfach nur ätzend.‹ Seine Freundin Mel Nelson streichelt zärtlich seine Haare. Sie hat Tränen in den Augen, aber Jandreaus sind trocken. Es ist, als stünde er noch immer unter Schock oder als könnte er keine Tränen mehr vergießen.«
»Das ist hart«, sagte Angel. Louis, der ebenfalls vom Bildschirm las, sagte nichts.
Ich fand in Bangor keine Adresse für Bobby, aber in dem Zeitungsartikel war erwähnt worden, dass Mel Nelson als Büroleiterin in der Bauholzfirma ihres Vaters in Veazie tätig war. Sie saß an ihrem Schreibtisch, und wir führten ein langes Gespräch. Manchmal warten die Leute nur auf den richtigen Anruf. Wie sich herausstellte, war sie nicht mehr Bobbys Freundin und darüber alles andere als glücklich. Sie machte sich etwas aus ihm und liebte ihn, aber er hatte sie weggeekelt, und sie verstand nicht, warum. Als ich auflegte, hatte ich Bobby Jandreaus Adresse und Telefonnummer, und ich bewunderte Mel Nelson.
Carrie Saunders rief an, als wir gerade frühstückten. Man kann nicht gerade behaupten, dass sie von der Vorstellung, sich mit mir zu treffen, begeistert war, aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass ich so eine Reaktion nicht persönlich nehmen durfte. Ich erklärte ihr, dass ich für Bennett Patchett, Damiens Vater, arbeitete, worauf sie mit mir für Mittag einen Termin in ihrem Büro im Togus VA Medical Center in Augusta vereinbarte, bevor sie auflegte. Louis und Angel beschatteten mich auf der Fahrt nach Augusta. Ich wollte sehen, was sich ergeben könnte, während wir nach Norden fuhren, aber sie bemerkten nichts, das auf eine Verfolgung hindeutete.
21
Carrie Saunders’ Office befand sich in der Nähe der Psychologischen Abteilung. Ihr Name – einfach »Dr. Saunders« – stand auf einem Plastikschild neben ihrer Tür, und als ich anklopfte, wurde die Tür von einer Mittdreißigerin mit kurzen blonden Haaren und der Statur eines Leichtgewichtboxers geöffnet. Sie trug ein dunkles T-Shirt zu einer schwarzen Stoffhose und hatte deutlich ausgeprägte Muskeln an Armen und Schultern. Ihr Büro war klein, und jeder verfügbare Platz wurde genutzt. Rechts von mir standen drei Aktenschränke, zur Linken Bücherregale voller medizinischer Texte und Aktenschuber. An den Wänden hingen gerahmte Urkunden von der medizinischen Fakultät der Uniformed Services University in Bethesda, Maryland, und vom Walter-Reed-Militärkrankenhaus. Ein eindrucksvolles Papier wies darauf hin,
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