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Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Gestalten abgelöst worden waren, wäre ein interessanter Ansatzpunkt gewesen, selbst wenn ich in einer Gruppentherapie mit Hitler, Napoleon und Jim Jones gewesen wäre. Unter den gegebenen Umständen war ich froh, dass meine Antwort auf ihre letzte Frage fast augenblicklich kam.
    »Ich weiß es nicht. Weil viel Zeit vergangen ist?«
    »Sie heilt nicht alle Wunden. Das ist ein Märchen.«
    »Vielleicht gewöhnt man sich einfach an den Schmerz.«
    Sie nickte. »Man vermisst ihn möglicherweise sogar, wenn er vergeht.«
    »Meinen Sie?«
    »Schon möglich, wenn er einem ein Ziel vorgibt.«
    Falls sie eine weitere Antwort erwartete, bekam sie sie nicht. Anscheinend wurde ihr das klar, denn sie fuhr fort.
    »Es können auch Ausweichsymptome auftreten: Stumpfheit, Distanziertheit, soziale Isolation.«
    »Man geht nicht mehr außer Haus?«
    »Das muss nicht im wortwörtlichen Sinn sein. Es könnte sich auch darin äußern, dass man sich von Menschen oder Orten fernhält, die man mit dem Vorfall in Verbindung bringt: von der Familie, von Freunden, ehemaligen Kollegen. Betroffenen fällt es schwer, sich um irgendetwas zu kümmern. Sie haben möglicherweise das Gefühl, dass es keinen Sinn hat, da sie ohnehin keine Zukunft haben.«
    »Eine gewisse Distanziertheit war da«, räumte ich ein. »Ich hatte das Gefühl, als würde ich nicht mehr am normalen Leben teilnehmen. So etwas gab es gar nicht mehr. Da war nur Chaos, das jeden Moment durchbrechen konnte.«
    »Und wie war es mit den Kollegen?«
    »Ich bin ihnen aus dem Weg gegangen und sie mir.«
    »Und mit Freunden?«
    Ich dachte an Angel und Louis, die draußen im Auto warteten. »Einige wollten nicht, dass ich ihnen aus dem Weg ging.«
    »Waren Sie deswegen wütend auf sie?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie genau wie ich waren. Sie hatten das gleiche Ziel.«
    »Was war das?«
    »Den Mann ausfindig zu machen, der meine Frau und mein Kind umgebracht hat. Ihn ausfindig zu machen und in Stücke zu reißen.«
    Die Antworten kamen jetzt schneller. Ich war überrascht, ja sogar wütend, dass ich dieser Fremden Zugang zu mir gewährte, aber es war auch ein gewisses Vergnügen dabei, eine Art Erlösung. Vielleicht war ich ein Narziss, oder ich war seit langer Zeit nicht mehr so messerscharf analytisch mit mir umgegangen, wenn überhaupt.
    »Hatten Sie das Gefühl, eine Zukunft zu haben?«
    »Eine unmittelbare.«
    »Die darin bestand, diesen Mann zu töten.«
    »Ja.«
    Sie beugte sich jetzt leicht vor, und in ihren Augen funkelte etwas Weißes. Mir war nicht klar, woher es kam, bis ich begriff, dass ich mein Gesicht sah, das sich in ihren Pupillen spiegelte.
    »Erregungszustände?«, fragte sie. »Konzentrationsschwierigkeiten?«
    »Nein.«
    »Übertriebene Reaktionen auf unverhoffte äußere Reize?«
    »Zum Beispiel Schüsse?«
    »Möglicherweise.«
    »Nein, meine Reaktion auf Schüsse war nicht übertrieben schreckhaft.«
    »Wutausbrüche? Gereiztheit?«
    »Ja.«
    »Schlafstörungen?«
    »Ja.«
    »Übertriebene Wachsamkeit?«
    »Die war gerechtfertigt. Eine Menge Leute wollten meinen Tod.«
    »Körperliche Symptome: Fieber, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle?«
    »Nein, jedenfalls nicht übermäßig.«
    Sie lehnte sich zurück. Wir waren fast fertig.
    »Schuldbewusstsein, weil Sie überlebt haben?«, sagte sie leise.
    »Ja«, sagte ich.
    Ja, ständig.
    Carrie Saunders verließ ihr Büro und kam mit zwei Bechern Kaffee zurück. Sie holte ein paar Zucker- und Sahnetütchen aus ihrer Hosentasche und legte sie auf den Tisch.
    »Sie müssen es mir nicht erzählen, was?«, meinte sie, während sie so viel Zucker in ihren Kaffee gab, dass der Löffel senkrecht darin stehen blieb.
    »Nein, aber andererseits sind Sie auch nicht die Erste, die es versucht.«
    Ich trank einen Schluck Kaffee. Er war stark und bitter. Mir wurde klar, weshalb sie so viel Zucker brauchte.
    »Wie geht es Ihnen jetzt?«, fragte sie.
    »Mit geht’s ganz gut.«
    »Ohne Behandlung?«
    »Ich habe ein Ventil für meine Wut gefunden. Es funktioniert immer noch, und es ist heilsam.«
    »Sie jagen Menschen. Und manchmal töten Sie sie.«
    Ich ging nicht darauf ein. Stattdessen fragte ich: »Wo haben Sie gedient?«
    »In Bagdad. Ich war Major, anfangs der Taskforce Ironhorse in Camp Boom in Baqubah zugeteilt.«
    »Camp Boom?«
    »Weil es so viele Explosionen gab. Heute heißt es Camp Gabe, nach einem Pionier, Dan Gabrielson, der 2003 in Baqubah gefallen ist. Als ich dort hinkam, war es so primitiv wie alles –

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