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Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Verfassung und auch soziale Faktoren spielen dabei eine Rolle. Bei einem Menschen mit einer guten Unterstützungsstruktur – Familie, Freunde, professioneller Beistand – sind posttraumatische Belastungsstörungen weniger wahrscheinlich als bei, sagen wir mal, einem Einzelgänger. Je länger es andererseits dauert, bis eine PTBS auftritt, desto schwerer wird sie wahrgenommen. Eine sofort einsetzende posttraumatische Belastungsstörung bessert sich nach drei, vier Monaten. Eine verzögerte PTBS kann länger anhalten, bis zu zehn Jahre und mehr, und ist daher schwerer zu behandeln.« Sie hielt inne. »Okay, diese Vorlesung haben wir erst mal hinter uns. Irgendwelche Fragen?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Gut. Jetzt müssen Sie sich beteiligen.«
    »Und wenn ich nicht will?«
    »Dann können Sie gehen. Das hier ist ein Austausch, Mr Parker. Sie wollen, dass ich Ihnen helfe. Dazu bin ich bereit, aber nur, wenn ich dafür etwas bekomme. In diesem Fall Ihre Bereitschaft einzugestehen, wenn und falls Ihnen irgendwelche Symptome, die ich anführen werde, bekannt vorkommen. Sie müssen nur ganz allgemein antworten. Über dieses Gespräch werden keine Unterlagen aufbewahrt. Falls Sie irgendwann erwägen sollten, tiefere Einblicke in das, was Sie durchgemacht haben, zu gewähren, dann wäre ich dankbar. Womöglich finden Sie es sogar wohltuend oder heilsam. Auf jeden Fall führt es zu dem zurück, was ich am Anfang gesagt habe. Sie sind hier, um etwas über PTBS zu erfahren. Jetzt haben Sie die Gelegenheit dazu.«
    Ich musste sie bewundern. Ich hätte gehen können, aber dann hätte ich nichts erfahren, abgesehen davon, dass man eine Frau, die wie ein Boxer aussieht, nicht unterschätzen sollte, und das war mir schon lange, bevor ich Carrie Saunders begegnet war, klar geworden.
    »Schießen Sie los«, sagte ich. Ich versuchte nicht schicksalsergeben zu klingen. Ich glaube, es gelang mir nicht.
    »Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung gibt es drei Hauptkategorien. Mit der ersten sind so genannte Flashbacks verbunden, Nachhallerinnerungen, bei denen man den Vorfall noch einmal durchlebt, der die Störung möglicherweise ausgelöst hat, oder, bei weniger schweren Fällen und daher auch weiter verbreitet, eine Reihe von unerwünschten und belastenden Gedanken, die einem wie Flashbacks vorkommen mögen, aber keine sind. Ich meine damit einerseits Träume und unangenehme Erinnerungen oder dass man Zusammenhänge zu Ereignissen herstellt, die nichts damit zu tun haben. Sie würden sich wundern, wie viele Soldaten Feuerwerkskörper nicht ausstehen können, und ich habe schon gesehen, wie sich traumatisierte Männer zu Boden warfen, wenn eine Tür zugeschlagen wurde oder ein Kind mit einer Spielzeugpistole geschossen hat. Andererseits mag es sein, dass man das Geschehen tatsächlich noch einmal durchlebt, was so weit gehen kann, dass es einem so real vorkommt, dass es das gewöhnliche Alltagsleben beeinträchtigt. Einer meiner Kollegen bezeichnet es als ›Ghosting‹. Ich persönlich mag den Begriff nicht, aber ich habe mit Betroffenen gesprochen, die etwas damit anfangen konnten.«
    Danach herrschte Stille. Ein Vogel flog am Fenster vorbei, und der Sonnenschein sorgte dafür, dass sein Schatten durchs Zimmer huschte – ein nicht wahrgenommenes Etwas, durch Glas und Ziegel, das feste Gefüge der Wirklichkeit, von uns getrennt, und dennoch machte er sich bei uns bemerkbar.
    »Es gab Flashbacks, quälende Gedanken, oder wie auch immer Sie das bezeichnen mögen«, sagte ich schließlich.
    »Waren sie schlimm?«
    »Ja.«
    »Häufig?«
    »Ja.«
    »Was hat sie ausgelöst?«
    »Blut. Der Anblick eines Kindes – eines Mädchens auf der Straße, sei es mit seiner Mutter oder allein. Einfache Dinge. Ein Stuhl. Ein Messer. Werbung für Kücheneinrichtungen. Bestimmte Formen, Kanten und Winkel. Ich weiß nicht, warum. Im Laufe der Zeit wurden die Eindrücke, die mir zu schaffen machten, immer weniger.«
    »Und jetzt?«
    »Sie treten nur noch selten auf. Ich träume immer noch schlecht, aber nicht mehr so oft.«
    »Warum ist das Ihrer Meinung nach so?«
    Mir war bewusst, dass ich versuchte, vor meinen Antworten nicht zu lange innezuhalten, damit Saunders nicht den Eindruck bekam, sie wäre womöglich auf etwas gestoßen, das sich zu erkunden lohnte. Dass ich glaubte, von meiner Frau und meinem Kind heimgesucht zu werden beziehungsweise einer dunkleren Version von ihnen, die seitdem durch weniger bedrohliche, aber ebenso unbekannte

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