Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Wunsch zu sehen, wie das Kästchen geöffnet wurde, war so überwältigend, dass Herod jeden potentiellen Spiegel abdecken musste, um ihn aus seiner Umgebung zu verbannen. Er wollte in Ruhe arbeiten, die Gegenwart des Käpt’ns hätte ihn zum Wahnsinn getrieben. Es würde eine Weile dauern, bis er dahinterkam, wie der Mechanismus der Schlösser funktionierte, womöglich tagelang. Sie mussten in einer bestimmten Reihenfolge geöffnet werden, denn er hatte es mit Kammern innerhalb von Kammern zu tun. Es war ein Puzzle, eine außergewöhnliche Konstruktion: Die Relikte, die sich in der letzten Kammer befanden, waren durch Draht miteinander verbunden, der Draht wiederum mit jedem einzelnen Schloss. Wenn man die Schlösser einfach gewaltsam aufbräche, würde man die vermutlich fragilen Relikte auseinanderreißen, und wenn sich jemand solche Mühe gemacht hatte, um sie zu sichern, war es höchstwahrscheinlich wichtig, dass sie unversehrt blieben.
Das Kästchen stand auf einem weißen Tuch. Es vibrierte nicht mehr, und sämtliche Stimmen in seinem Innern hatten ihr Geflüster eingestellt, als sei ihnen bewusst, dass sich der derjenige, der sie womöglich befreien würde, konzentrieren müsse. Herod hatte keine Angst vor ihnen. Der Käpt’n hatte ihm erklärt, was sich in dem Kästchen befand und wodurch sie dort festgehalten wurden. Es waren Bestien, aber gefesselte Bestien. Sobald das Kästchen geöffnet wurde, wären sie freigesetzt, aber noch immer gebunden. Man musste ihnen klarmachen, dass sie Kreaturen des Käpt’ns waren.
Er wollte gerade die erste Spinne lösen und den Mechanismus des Schlosses freilegen, als die Alarmanlage des Hauses so unverhofft losging, dass er unwillkürlich erschrak. Herod hielt nicht einmal inne, um die Lage zu beurteilen. Er aktivierte die Verriegelungen des sicheren Raums und schloss sich darin ein. Dann griff er zum Telefon, drückte die Taste und wurde unverzüglich mit der Wachschutzfirma verbunden, die für die Überwachung der Alarmanlage zuständig war. Er bestätigte, dass es sich womöglich um einen Eindringling handle, und teilte mit, dass er sich im sicheren Raum eingeschlossen habe. Er ging zu einem Schrank und öffnete ihn, worauf eine Reihe von Bildschirmen zum Vorschein kam, die das Haus sowohl von innen als auch von außen sowie das umliegende Gelände aus sämtlichen Blickwinkeln zeigten. Er meinte das Spiegelbild des Käpt’ns auf den Monitoren zu sehen und spürte dessen brennende Neugier, mit der er einen Blick auf das Kästchen zu werfen versuchte, doch Herod beachtete ihn nicht. Im Moment gab es Dringenderes. Er sah keinen Hinweis auf einen Eindringling, und die Tore des Anwesens waren geschlossen. Möglicherweise war es ein falscher Alarm, aber Herod wollte kein Risiko eingehen, weder in Bezug auf seine persönliche Sicherheit noch auf seine Sammlung, zumal sie gerade um eine so wertvolle und seltene Neuanschaffung ergänzt worden war.
Nach vier Minuten tauchte ein schwarzer Van am Tor auf. Ein Zifferncode, der aus Sicherheitsgründen wöchentlich geändert wurde, wurde in das Tastenfeld am Torpfosten eingegeben. Herod bestätigte ihn ordnungsgemäß. Das Tor ging auf, der Van fuhr aufs Grundstück, und das Tor schloss sich unmittelbar hinter ihm wieder. Sobald der Van vor dem Haus stand, öffneten sich die Türen und vier bewaffnete Männer tauchten auf. Zwei davon überprüften sofort die Seitenmauern und den rückwärtigen Teil des Gebäudes, einer hatte die Waffe auf das Grundstück gerichtet, und der letzte näherte sich der Tür und aktivierte die Gegensprechanlage.
»Dürer«, meldete sich eine Stimme. Genau wie der Zifferncode wurde auch das Kennwort, mit dem sich das Wachschutzteam auswies, wöchentlich geändert.
»Dürer«, wiederholte Herod. Per Fernbedienung aktivierte er das Schloss an der Haustür, öffnete es und ließ die Wachschutzmänner ins Haus. Einer von ihnen, der Mann, der bereits das Codewort genannt hatte, trat sofort ein. Der Mann, der das Grundstück gesichert hatte, ging zur Tür, blieb aber draußen, bis die beiden anderen Männer zu ihm stießen, nachdem sie bestätigt hatten, dass der übrige Teil des Hauses sicher sei. Daraufhin begab auch er sich ins Haus und ließ sie draußen stehen. Herod versuchte ihnen von einem Bildschirm zum nächsten zu folgen, als sie die Alarmanlage stilllegten, das Messdiagramm überprüften und dann das ganze Haus abschritten. Zehn Minuten nachdem sie mit der Durchsuchung begonnen hatten, summte
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