Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Wein aus seinem Glas und schickte sich an zu gehen. An der Tür hielt er inne und blickte noch einmal zum Küchenfenster. Irgendetwas stimmte nicht. Rasch lief er zur Anrichte und blickte hinaus in Webbers gepflegten und dezent erleuchteten Garten. Er war von einer hohen Mauer mit zwei verschlossenen Toren auf beiden Seiten des Hauses umgeben. Herod sah niemanden, doch er war nach wie vor beunruhigt.
Er blickte auf seine Uhr. Er war schon zu lange hier, vor allem, wenn jemand die Schüsse gehört hatte. In einem Schrank unter der Treppe fand er den Sicherungskasten und stellte den Strom ab, dann holte er eine blaue OP -Maske aus der Innentasche seiner Jacke und band sie über den unteren Teil seines Gesichts. In gewisser Weise war der H1N1 -Virus ein Segen für ihn gewesen. Ach, manchmal starrten ihn die Menschen im Vorbeigehen immer noch an, aber wenn man jemandem seine Krankheit derart ansah wie ihm, bedachten sie einen eher mit verständnisvollen als mit neugierigen Blicken. Dann tauchte Herod in den Schatten ein und wurde von der Nacht verschluckt, und er verbannte Jeremiah Webber und seine Tochter für immer aus seinen Gedanken. Webber hatte eine Entscheidung getroffen, nach Herods Ansicht die richtige Entscheidung, und deshalb durfte seine Tochter weiterleben. Herod, der trotz seiner Drohungen gegenüber Webber allein arbeitete, würde ihr nichts zuleide tun.
Denn er war ein Ehrenmann, jedenfalls auf seine Art.
4
Während sich Webbers Blut mit dem verschütteten Wein vermischte und auf dem Küchenboden gerann und Herod wieder in die Dunkelheit eintauchte, aus der er gekommen war, hallte hoch im Norden das Klingeln eines Telefons auf einer Lichtung im Wald wider.
Der Mann, der zusammengerollt auf dem schmutzigen Bettzeug lag und von dem Lärm aufgeschreckt wurde, wusste sofort, dass sie es waren. Er wusste es, weil er das Telefon herausgezogen hatte, bevor er schlafen gegangen war.
Er bewegte nur die Augen und blickte zu dem Apparat, als wären sie bereits da und er verriete ihnen, dass er wach war, wenn er sich umdrehte.
Haut ab. Lasst mich in Ruhe.
Der Fernseher ging an, und einen Moment lang bekam er eine Szene aus einer alten Komödie aus den sechziger Jahren mit und erinnerte sich daran, wie er darüber gelacht hatte, als er zwischen seiner Mutter und seinem Vater auf dem alten Sofa saß. Er spürte, wie ihm beim Gedanken an seine Eltern die Tränen in die Augen schossen. Er hatte Angst und wollte, dass sie ihn beschützten, aber sie waren längst von dieser Erde verschwunden, und er war allein. Dann verblasste das Bild und hinterließ nur statische Störungen, doch die Stimmen drangen aus dem Bildschirm wie in der Nacht zuvor und all den Nächten, seit er die letzte Lieferung entgegengenommen hatte. Trotz der Wärme fing er an zu zittern.
Hört auf. Haut ab.
In der Küche am anderen Ende der Hütte lief plötzlich das Radio. A Little Night Music, seine Lieblingssendung, jedenfalls war sie das mal gewesen. Er hatte sie sich vor dem Einschlafen gern angehört, aber jetzt nicht mehr. Wenn er jetzt das Radio einschaltete, hörte er sie durch die Musik und zwischen den einzelnen Sätzen – sie übertönten den Sprecher nicht ganz, waren aber doch so laut, dass er sich nicht auf die Ansage konzentrieren konnte, die Namen der Komponisten und Dirigenten nicht mitbekam, während er versuchte, die fremde Sprache nicht zu beachten, die so angenehm klang. Und obwohl er die Worte nicht verstand, war ihm ihre Bedeutung klar.
Sie wollten freigelassen werden.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er sprang aus dem Bett, schnappte sich den Baseballschläger, der daneben lag, und schlug mit einer Kraft und Treffsicherheit zu, die er in jüngeren Jahren bewundert hätte. Der Bildschirm zerbarst mit einem dumpfen Knall und einem Funkenregen. Kurz darauf lag auch das Radio zertrümmert auf dem Boden, und dann musste er sich nur noch das Telefon vornehmen. Er stand davor, hatte den Schläger erhoben und starrte auf die Leitung: nicht angeschlossen, dennoch klingelte es. Er hätte überrascht sein sollen, war es aber nicht. In letzter Zeit konnte ihn nichts mehr überraschen.
Statt das Telefon zu zertrümmern, legte er den Schläger hin und steckte die Leitung ein. Er nahm den Hörer ans Ohr, achtete aber darauf, dass er es nicht berührte, denn er hatte Angst, dass die Stimmen sonst in seinen Kopf dringen, sich dort einnisten und ihn noch tiefer in den Wahnsinn treiben könnten, als sie es bereits getan
Weitere Kostenlose Bücher