Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
konnte. Ronalds Aktivitäten waren für die hiesigen Ordnungshüter eine Art offenes Geheimnis, aber sie ließen sie ihm durchgehen, weil Ronald nichts an Kids verkaufte, nicht gewalttätig wurde und den Cops gegenüber hilfsbereit war, wenn es darauf ankam. Außerdem war es ja nicht so, dass Ronald ein Drogenimperium leitete. Sonst würde er nicht in einer kleinen Hütte draußen bei Scarborough Downs wohnen.
Dann würde er in einer großen Hütte draußen bei Scarborough Downs wohnen.
Ronald kam an die Tür, als ich aus dem Auto stieg. Er war ein großer Mann mit kurzgeschnittenen schwarzen Haaren, durch die sich dicke silberne Strähnen zogen. Er trug enge Jeans und ein kariertes Hemd, das über den Gürtel hing. Um den Hals hatte er einen Lederbeutel.
»Was ist das?«, fragte ich. »Große Medizin?«
»Nee, da drin bewahre ich mein Kleingeld auf.«
Seine braungebrannte und von Sehnen und Adern durchzogene Hand ergriff meine und verschluckte sie, so wie ein knorriger alter Wels eine Elritze verschlingt.
»Du bist der einzige amerikanische Ureinwohner, den ich kenne«, sagte ich, »und du machst nichts von dem Zeug, das sich für einen anständigen amerikanischen Ureinwohner gehört.«
»Bist du enttäuscht?«
»Ein bisschen. Ich habe einfach das Gefühl, dass du dir keine Mühe gibst.«
»Ich will nicht mal als amerikanischer Ureinwohner bezeichnet werden. Indianer tut’s auch.«
»Siehst du? Ich gehe jede Wette ein, dass du nicht mal mit der Wimper gezuckt hättest, wenn ich hier als Cowboy verkleidet aufgekreuzt wäre.«
»Nee. Ich hätte dich möglicherweise erschossen, aber ohne mit der Wimper zu zucken.«
Wir setzten uns an einen Tisch in seinem Hof, und Ronald holte zwei Sodadosen aus einer Kühlbox. Auf einem Ghettoblaster in der Küche lief leise Musik, eine Mischung aus amerikanischem Ureinwohnerblues, Folk und Americana: Slidin’ Clyde Roulette, Keith Secola, Butch Mudbone.
»Ein Höflichkeitsbesuch?«, fragte er.
»Ein zwangloser«, erwiderte ich. »Erinnerst du dich an einen gewissen Damien Patchett, ein einheimischer Junge, war mit der Infanterie im Irak?«
Ronald nickte. »Ich war bei seiner Beerdigung.«
Ich hätte es wissen müssen. Wann immer er konnte, ging Ronald zu den Beerdigungen hiesiger Veteranen. Er war der Meinung, wenn er einem die letzte Ehre erwies, erwies er sie allen. Es war ein Teil seiner persönlichen Verpflichtung gegenüber den Gefallenen.
»Hast du ihn gekannt?«
»Nein, ich bin ihm nie begegnet.«
»Ich habe gehört, dass er sich möglicherweise das Leben genommen hat.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Sein Vater.«
Ronald berührte ein kleines silbernes Kreuz, das an einem Lederriemen um sein Handgelenk hing – eine Geste, mit der er sein Verständnis für Bennett Patchetts Schmerz bekundete. »Es passiert schon wieder«, sagte er. »Man hofft immer, dass die hohen Tiere und die Politiker dazulernen, aber das tun sie nicht. Der Krieg verändert die Männer und die Frauen, und manche von ihnen verändern sich so sehr, dass sie sich selber nicht wiedererkennen und das hassen, was aus ihnen geworden ist. Wenn du mich fragst, werden wir bloß beim Vergleichen von Selbstmordraten immer besser, das ist alles. Es sind mehr Vietnamveteranen seit dem Krieg damals von eigener Hand gestorben, als in Feindesland gefallen sind, und allein dieses Jahr werden mehr Irakveteranen von eigener Hand sterben, als im Irak umkommen werden. Jedenfalls nach der Art und Weise zu urteilen, wie sich die Zahlen entwickeln. Für beide Kriege gilt das Gleiche: schlechte Behandlung da drüben, schlechte Behandlung daheim.«
»Was hat man sich über Damien erzählt?«
»Dass er sich abgekapselt hat, dass er Schlafstörungen hatte. Viele Jungs haben Schlafstörungen, wenn sie zurückkommen. Sie haben alle möglichen Schwierigkeiten, aber wenn du nicht schlafen kannst, wirst du irre im Kopf. Du wirst missmutig und deprimiert. Vielleicht trinkst du mehr, als du solltest, oder du nimmst irgendwas, um runterzukommen, und dann brauchst du jedes Mal ein bisschen mehr. Er war auf Trazodon, hat aber damit aufgehört.«
»Warum?«
»Da musst du jemanden fragen, der ihn besser kannte als ich. Manche Jungs nehmen nicht gern Schlafmittel – sie finden, dass sie davon einen Kater kriegen, wenn sie aufwachen, und dass es sie um den REM -Schlaf bringt. Aber alles, was ich über Damien erfahren habe, stammt aus zweiter Hand. Hat dich sein Vater engagiert, damit du seinen Tod
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