Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
ihr hier seid.«
»Und weshalb wir uns an einem strahlend schönen Sommerabend in aller Öffentlichkeit treffen. Du willst ihnen klarmachen, dass du nicht allein bis, falls sie dich beobachten.«
»Ich brauche zwei, drei Tage Zeit. Wenn ich sie dazu bringen kann, dass sie Abstand halten, wird das Leben viel leichter.«
»Und wenn sie keinen Abstand halten?«
»Dann darfst du ihnen etwas antun«, sagte ich.
Louis hob sein Glas und trank einen Schluck.
»Tja, trinken wir darauf, dass sie keinen Abstand halten«, sagte er.
Wir zahlten und gingen auf ein Steak zum Grill Room an der Exchange Street, denn Louis bekam immer Hunger, wenn sich die Gelegenheit bot, jemandem etwas antun zu können.
16
Jimmy Jewel saß auf seinem Stammplatz, als Earle den Laden abschloss. Es war kurz vor Mitternacht, und den ganzen Abend über war in der Bar nicht viel los gewesen – ein paar Suffköpfe, die nach den Exzessen der letzten Nacht einen Absacker brauchten, aber weder Lust noch die nötige Kohle hatten, um sich ein weiteres Mal die Kante zu geben, und zwei Touristen aus Massachusetts, die einmal falsch abgebogen waren und dann beschlossen, zwei Bier zu bestellen, während sie sich zu dem authentischen Elend ihrer Umgebung beglückwünschten. Unglücklicherweise konnte Earle Leute nicht leiden, die unfreundliche Bemerkungen über seinen Arbeitsplatz abließen, und schon gar keine Großstadtschickimickis. In der guten alten Zeit wären sie zur Buße für ihr schlechtes Benehmen mit der Schnauze voran auf dem Deckel einer Mülltonne gelandet. Als die Arschlöcher aus Massachusetts eine zweite Runde bestellen wollten, reagierte er mit ausdrucksloser Miene und schlug ihnen vor, sich woandershin zu verziehen, am besten irgendwo auf die andere Seite der Staatsgrenze oder noch weiter weg.
»Du gehst vielleicht mit Leuten um«, sagte Jimmy zu Earle. »Du solltest zur UNO gehen und in Krisengebieten aushelfen.«
»Wenn Sie gewollt hätten, dass sie dableiben, hätten Sie was sagen müssen«, erwiderte Earle mit argloser Miene. Manchmal wusste nicht einmal Jimmy, ob Earle es ernst meinte oder nicht. Stille Wasser, und so weiter und so fort, dachte Jimmy. Ab und zu gab Earle eine Bemerkung oder eine Feststellung von sich, bei der Jimmy alles liegen und stehen ließ, mit dem er gerade beschäftigt war, und erst einmal verarbeiten musste, was er gerade gehört hatte, um Earle dann mit ganz anderen Augen zu sehen, obwohl er geglaubt hatte, ihn zu kennen. Neuerdings brachte ihn Earles Lesestoff aus der Fassung. Allem Anschein nach deckte er gerade seinen Nachholbedarf in Sachen klassische Literatur, und zwar nicht bloß mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Heute Abend zum Beispiel hatte Earle Herr und Knecht und andere Erzählungen von Tolstoi gelesen. Als Jimmy ihn danach gefragt hatte, hatte Earle die Handlung der Titelgeschichte geschildert, in der es um einen reichen Typ ging, der seinen Knecht mit seinem Körper schützt, nachdem sich beide in einem Schneesturm verirrt hatten, worauf der Knecht überlebt und der Reiche stirbt. Der Reiche kommt infolgedessen in den Himmel, so dass alles seine Ordnung hat.
»Soll da eine Botschaft drinstecken?«, hatte Jimmy gefragt.
»Für wen?«
»Für wen«, als ob Earle jetzt John Houseman wäre.
»Weiß ich nicht«, sagte Jimmy. »Für Reiche, die ein schlechtes Gewissen haben.«
»Ich bin nicht reich«, sagte Earle.
»Dann bist du also wie der andere Typ?«
»Ich nehm’s an. Ich meine, ich hab’s nicht so aufgefasst. Man muss nicht der eine oder der andere sein. Es ist bloß eine Erzählung.«
»Wenn wir in einen Blizzard geraten würden und einer von uns sterben müsste, glaubst du, dass ich dich dann nicht als Decke benutzen würde, um mich warm zu halten? Glaubst du, ich würde mich für dich opfern?«
Earle dachte über die Frage nach. »Yeah«, sagte er. »Ich glaube, Sie würden sich für mich opfern. Wär auch nicht das erste Mal.«
Und Jimmy wusste, dass Earle sich auf Sally Cleaver bezog, denn er hatte schon seit dem ersten Besuch des Detektivs gespürt, dass die Sache Earles Gewissen belastete. Jimmy kannte Earle inzwischen so gut, dass er erkannte, wenn dieser spezielle Geist ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Du hast doch den Verstand verloren«, sagte Jimmy.
»Vielleicht«, sagte Earle. »Die Sache ist nur die, dass ich Ihr Opfer nicht zulassen würde, Mr Jewel. Ich würde dafür sorgen, dass Sie am Leben bleiben, und wenn ich Sie dabei ersticken müsste.«
Das klang
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