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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sollten.«
    Einen Augenblick saß Eleonore unbewegt, ohne dass Mary zu sagen vermocht hätte, was in ihr vor sich ging. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
    »Ist das der Grund für deine nächtliche Eskapade?«, wollte sie wissen. »Du willst die Zuneigung der Knechte und Mägde gewinnen?«
    »Zuallererst sind es Menschen, Mylady. Und ja – ich möchte mir ihre Zuneigung und ihren Respekt erwerben.«
    »Respekt erwirbt man sich allein durch Autorität. Und Furcht ist dabei ein gutes Hilfsmittel.«
    »Der Ansicht bin ich nicht.«
    »Es ist mir gleichgültig, welcher Ansicht du bist. Du hast den Laird und mich in unakzeptabler Weise bloßgestellt und beleidigt, und das wird nicht ungeahndet bleiben.«
    »Mit Verlaub, Mylady – der Laird ist ein Tölpel, der nur seinen Ruf und seinen Reichtum im Blick hat! Er hat es nicht anders verdient.«
    »Das genügt.« Eleonores Lippen wurden so schmal, dass sie nur mehr einen Strich in ihrem blassen Gesicht bildeten. »Du willst es offenbar nicht anders. Ich werde dir also eine Lektion erteilen müssen.«
    »Was haben Sie vor?«, fragte Mary störrisch. »Mir das Dach über dem Kopf anzünden, wie Sie es bei diesen armen Menschen tun?«
    »Das Dach sicher nicht, aber es gibt noch andere Dinge, die vortrefflich brennen. Papier zum Beispiel.«
    »Was soll das heißen?« Mary hatte plötzlich eine schlimme Ahnung.
    »Nun, mein Kind, es scheint mir auf schmerzliche Weise offensichtlich, dass diese krausen Vorstellungen, die du in deinem Kopf herumträgst, nicht von dir selbst stammen können. Von irgendwo musst du sie also haben, und da ist mir eingefallen, dass du deine Nase häufiger in Bücher steckst als jede andere junge Dame, die ich kenne.«
    »Und?«, fragte Mary nur.
    »Diese Bücher scheinen der wahre Grund für deine Renitenz und dein störrisches Verhalten zu sein. Ich habe daher angeordnet, deine Kammer von Büchern zu säubern und sie hinunter in den Hof zu bringen, um sie vor aller Augen zu verbrennen.«
    »Nein!« Mary sprang auf.
    »Du hattest die Wahl, mein Kind. Du hättest dich nicht gegen uns stellen sollen.«
    Einen Augenblick war Mary wie erstarrt, fassungslos über solche Gefühlskälte. Entsetzen packte sie, und sie stürzte zum Fenster, blickte hinaus auf den Hof. Ein helles Feuer loderte dort unten, von dem grauer Rauch in den Morgenhimmel stieg, dazu Fetzen von Papier, die die heiße Luft in die Höhe trieb.
    Mary konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Es waren tatsächlich Bücher, die dort brannten – ihre Bücher. Soeben brachte ein Dienstbote einen weiteren Stapel aus dem Haus und warf ihn in die grellen Flammen.
    Mary wandte sich ab und stürzte aus dem Salon. Mit fliegenden Schritten hastete sie durch die Korridore und über die Treppe, hinaus in den Hof. Kitty kam ihr entgegengeeilt, Tränen in den Augen.
    »Mylady!«, rief sie aus. »Bitte verzeihen Sie mir, Mylady! Ich wollte sie daran hindern, aber ich konnte nicht. Sie haben die Bücher einfach mitgenommen!«
    »Es ist schon gut, Kitty«, beschied Mary mit einem letzten Rest von Würde. Dann stieg sie die Stufen zum Innenhof hinab und musste mit ansehen, wie ein weiterer Stapel ihrer geliebten Bücher den Flammen preisgegeben wurde – unter ihnen auch das Werk über schottische Geschichte, das Sir Walter ihr geschenkt hatte. Den jungen Mann, der es ins Feuer geworfen hatte und der nun mit einer langen Eisenstange die Flammen schürte, kannte sie. Es war Sean, der Schmiedegeselle, mit dem sie am gestrigen Abend auf seiner Hochzeit getanzt hatte.
    Verzweiflung ergriff von Mary Besitz. Sie rannte los, um zu retten, was noch zu retten war, wollte die Überreste ihrer geliebten Bücher mit bloßen Händen aus den Flammen zerren. Der junge Sean stellte sich ihr in den Weg.
    »Mylady, nicht«, bat er.
    »Lass mich vorbei! Ich muss meine Bücher retten.«
    »Da ist nichts mehr zu retten, Mylady«, sagte der Schmiedegeselle traurig. »Es tut mir so Leid.«
    Mary stand vor den Flammen und starrte in die lodernde Feuersbrunst, sah Ivanhoe und Das Fräulein vom See in der hellen Glut verschwinden. Das Papier krümmte sich, ehe es in Flammen aufging und sich schwarz färbte, um schließlich zu Asche zu zerfallen.
    »Warum hast du das getan?«, flüsterte Mary. »Diese Bücher waren alles, was ich noch hatte. Sie waren mein Leben.«
    »Es tut mir Leid, Mylady«, erwiderte Sean. »Wir hatten keine andere Wahl. Sie haben gedroht, die Häuser unserer Familien

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