Die Bruderschaft der Runen
anzuzünden und uns von unserem Land zu verjagen, wenn wir es nicht tun.«
Mary schaute den Schmiedegesellen an. Ihre verquollenen Gesichtszüge hatten mit einer Dame nichts mehr gemein, aber sie schämte sich ihrer Tränen nicht. Was Eleonore of Ruthven ihr angetan hatte, war das Heimtückischste, das ihr je widerfahren war.
Die Räuber an der Brücke hatten es nur auf ihr Hab und Gut abgesehen gehabt – Eleonore hingegen ging es um mehr. Sie wollte Marys Leben zerstören, betrachtete sie als einen Besitz, mit dem sie nach Belieben verfahren und den sie nach ihren Erfordernissen formen konnte.
Inmitten der Tristesse und der Zwänge, die sie umgaben, war das Lesen für Mary wie eine Flucht in eine andere, bessere Welt gewesen. Wie sie ohne ihre Bücher überleben sollte, war ihr ein Rätsel.
»Bitte, Mylady«, sagte Sean, der die Verzweiflung in Marys Augen sah, »seien Sie uns nicht böse. Wir können nichts dafür.«
Mary blickte ihn unverwandt an. Im ersten Moment hatte sie tatsächlich einen unbändigen Zorn auf den jungen Mann verspürt und war von ihm und seinesgleichen maßlos enttäuscht gewesen. Aber nun war ihr klar, dass Sean und die anderen Bediensteten nichts dafür konnten. Sie fürchteten um ihre Existenz und hatten nur getan, was sie tun mussten, um sich und ihre Familien zu schützen.
Mary wandte den Blick ab und schaute am Hauptgebäude empor zum großen Fenster des Salons. Als ob sie es geahnt hätte, gewahrte sie dort Eleonore of Ruthven.
Die hagere Frau stand am Fenster und blickte hochmütig auf sie herab, und in ihrem blassen Gesicht sah Mary ein Lächeln der Genugtuung. Ihre Fäuste ballten sich, und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand Mary Hass.
Mit einem letzten Blick nahm sie Abschied von ihren teuren Büchern, die die Flammen schon fast aufgefressen hatten. Dann wandte sie sich ab und verließ erhobenen Hauptes, um ihrer künftigen Schwiegermutter nicht noch mehr Anlass zum Triumph zu geben, den Hof.
Kitty begleitete sie, und beide kämpften ihre Tränen nieder, um sich keine Blöße zu geben. Erst als Mary in ihrer Kammer war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf, und obwohl Kitty alles tat, um sie zu trösten, hatte sie sich noch nie zuvor in ihrem Leben so allein, so verlassen gefühlt.
Ihre Bücher waren ihr Lebenselixier gewesen, ihr Fenster zur Freiheit. Auch wenn ihr Körper in Zwängen gefangen sein mochte – ihr Geist war frei gewesen. Beim Lesen hatte er sich an ferne Orte und Zeiten begeben, wohin ihr niemand folgen konnte. Diese Freiheit, auch wenn sie nur eine Illusion gewesen war, hatte Mary geholfen, nicht zu verzweifeln.
Wie sollte sie nun hier leben, wie das zwangvolle Dasein auf Burg Ruthven überstehen ohne ein geschriebenes Wort, das ihre Fantasie beflügelte und ihr Trost und Hoffnung spendete?
Marys Verzweiflung war übermächtig. Sie verließ ihre Kammer den ganzen Tag nicht, und es kam auch niemand, um sie zu holen.
Irgendwann versiegten ihre Tränen, und erschöpft von Kummer, Wut und Empörung, schlief Mary ein. Und während sie schlief, hatte sie erneut einen seltsamen Traum, der sie in eine ferne Vergangenheit entführte …
10.
G wynneth Ruthven hatte die Einsamkeit gesucht.
Sie konnte das Gerede ihres Bruders und seiner neuen Freunde nicht mehr hören: dass Schottland in großer Gefahr sei und William Wallace, den sie alle nur ›Braveheart‹ nannten, ein Verräter; dass er nach der Königskrone greife und es gelte, ihm Einhalt zu gebieten; dass ferner nur der Earl of Bruce Schottlands König sein könne und der Sieg über die Engländer mit allen Mitteln errungen werden müsse.
Gwynn hatte genug davon.
Schon ihr Vater hatte zu seinen Lebzeiten solche Reden geführt, hatte stets davon gesprochen, dass man die Engländer aus Schottland vertreiben und einen neuen König einsetzen müsse. Dass er es mit Wallace gehalten hatte, machte keinen Unterschied. Am Ende hatte er auf dem Schlachtfeld sein Leben gelassen, genau wie viele andere, und Gwynn konnte nicht sehen, dass sein Tod irgendetwas bewirkt hätte. Im Gegenteil. Das Blutvergießen und die Intrigen waren nur noch schlimmer geworden.
Wallace hatte versprochen, die Engländer aus Schottland zu vertreiben, aber es war ihm nicht gelungen; noch während er ins Land des Feindes eingefallen war und die Stadt York erobert hatte, waren englische Truppen an der Küste gelandet und hatten Edinburgh eingenommen; seitdem waren die Besatzer wieder auf dem Vormarsch.
Blut und Leid war alles, was
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