Die Bruderschaft der Runen
die Vermutung nahe, dass Scott mehr aus Respekt vor seinem alten Lehrer einlenkte denn aus wirklicher Überzeugung. »Wir danken Ihnen für Ihre Auskunft, und ich verspreche Ihnen, dass wir äußerste Vorsicht walten lassen werden.«
»Mehr kann ich nicht verlangen«, erwiderte Gainswick. »Und nun lassen Sie uns über etwas anderes sprechen. Wie geht es Ihrer Gattin? Und woran arbeiten Sie gerade? Ist es richtig, dass Sie einen Roman schreiben wollen, der im mittelalterlichen Frankreich spielt …?«
Die Fragen, mit denen der Professor Sir Walter bestürmte, ließen keinen Raum mehr für weitere Spekulationen. Sir Walter beantwortete sie alle, und sie unterhielten sich über die alten Zeiten, als die Welt, wie sie übereinstimmend sagten, noch weniger kompliziert gewesen war. Da der Professor sich weigerte, sie ohne Mahlzeit gehen zu lassen, wurde es ein längerer Besuch; der Gelehrte wies seine Haushälterin an, ein Nachtmahl zu bereiten, und so war es spät, als Sir Walter und Quentin endlich das Haus am Ende der Gasse verließen.
»Professor Gainswick ist sehr freundlich«, stellte Quentin fest, während sie zurück zur Kutsche gingen.
»Das ist er. Schon als ich ein Student war, ist er stets mehr für mich gewesen als nur ein Lehrer. Allerdings ist der Professor in den letzten Jahren sehr gealtert.«
»Wie meinst du das?«
»Ich bitte dich, Quentin – dieses ganze Gerede von verbotenen Runen und Bruderschaften, die selbst auf das schottische Königshaus Einfluss gehabt haben sollen …«
»Es wäre doch möglich, oder nicht?«
»Ich denke nicht. Die Annahme, dass diese Aufrührer die Erben jener geheimnisvollen Bruderschaft sein und noch immer die gleichen dunklen Ziele verfolgen könnten wie ihre Vorfahren, halte ich für ein Hirngespinst.«
»Vielleicht«, räumte Quentin ein. »Dennoch sollten wir vorsichtig sein, Onkel. Diese Dinge, von denen der Professor sprach, sind wirklich unheimlich.«
»Plagt dich schon wieder die Angst vor Gespenstern, mein Junge? Wie auch immer – wir werden morgen zur Bibliothek fahren und versuchen, dieses Fragment zu finden, von dem der Professor uns erzählt hat. Wenn wir einen konkreten Hinweis in der Hand hätten, könnten wir bei den Behörden argumentieren und möglicherweise erreichen, dass noch entschlossener gegen diese Kriminellen vorgegangen wird. So aber haben wir nichts als einen Strauß unhaltbarer Gerüchte und Vermutungen, und davon lasse ich mich nicht einschüchtern.«
Sie hatten das Ende der Gasse erreicht, wo die Droschke bereit stand. Der Kutscher stieg ab und öffnete die Tür, sodass sie einsteigen konnten.
In düstere Gedanken versunken, ließ sich Quentin in den harten Sitz fallen. Hätte er die schattenhaften Gestalten gesehen, die sich in dunklen Mauernischen und Hauseingängen verbargen und seinen Onkel und ihn beobachteten, wäre seine Unruhe noch weitaus größer gewesen.
Und vielleicht hätte sogar Sir Walter seine Meinung über Miltiades Gainswick revidiert.
9.
A ls Mary am nächsten Morgen den Frühstückssalon betrat, bemerkte sie sofort, dass eine Veränderung eingetreten war.
Malcolm of Ruthven hatte das Haus bereits verlassen, nur seine Mutter war anwesend. Und der Blick, mit dem Eleonore Mary begrüßte, verhieß nichts Gutes.
»Einen angenehmen Morgen«, grüßte Mary dennoch freundlich und deutete eine Verbeugung an. »Haben Sie gut geruht?«
»Keineswegs«, schnarrte Eleonore, »und mir fiele auch nichts ein, was diesen Morgen für mich auch nur annähernd angenehm gestalten könnte. Weshalb hast du den Empfang so früh verlassen?«
Mary nahm am anderen Ende der Tafel Platz. Also das war der Grund für den frostigen Empfang, dachte sie. Man war ungehalten über ihren frühen Abschied.
»Ich fühlte mich nicht wohl«, beschied sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter, während eine Dienerin kam und ihr Tee einschenkte.
»So, du fühltest dich also nicht wohl.« Eleonores Blick war unschwer zu deuten, Zorn und Verachtung lagen darin. »Dieser Empfang wurde zu deinen Ehren abgehalten. Der gesamte Hochlandadel hatte sich eingefunden, um dich in deiner neuen Heimat zu begrüßen. Ich weiß nicht, wie man es in England hält, aber hier im Norden gilt es als grob unhöflich, wenn sich der Ehrengast ohne ein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns zurückzieht. Du hast die Etikette verletzt und unsere Gäste beleidigt.«
»Das tut mir Leid«, sagte Mary, »das lag nicht in meiner Absicht. Aber ich fühlte mich nicht
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