Die Bruderschaft der Runen
den Erben dieser Sektierer zu tun haben. Wir wissen ja noch nicht einmal, welche Ziele die Bruderschaft der Runen verfolgt hat.«
»Macht«, sagte Gainswick nur. »Um etwas anderes ist es diesen Strolchen nie gegangen.«
»Uns fehlen die Beweise«, wiederholte Sir Walter. »Wenn wir wenigstens eine Kopie dieser Handschrift hätten, auf die Sie gestoßen sind! Dann könnte ich damit nach Kelso fahren und Abt Andrew zur Rede stellen. So aber haben wir nichts als Vermutungen.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, mein lieber Walter. Wie ich schon sagte, die Sache liegt einige Jahre zurück, und da okkulte Sekten und Rituale nicht unbedingt zu meinem Interessengebiet gehören, habe ich keine Abschrift anfertigen lassen.«
»Wissen Sie noch, wo Sie das Manuskript gefunden haben?«
»Es gibt in der Bibliothek eine Abteilung für Fragmente und Palimpseste, die sich nicht zuordnen lassen. Dort bin ich aus purem Zufall darauf gestoßen. Wenn ich mich recht entsinne, hatte das Schriftstück nicht einmal eine Katalogisierung.«
»Aber es ist noch immer dort?«
Gainswick zuckte mit den Schultern. »Bei all dem Durcheinander, das dort herrscht, kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand das Schriftstück entwendet hat. Da müsste er schon gezielt danach gesucht haben.«
»Also gut.« Sir Walter nickte. »Gleich morgen werden Quentin und ich in die Bibliothek gehen und nach dem Schriftstück suchen. Wenn wir es fänden, hätten wir zumindest etwas in der Hand.«
»Sie haben sich nicht verändert, mein lieber Walter«, stellte der Professor lächelnd fest. »Aus Ihren Worten spricht noch immer der logisch arbeitende Verstand, der nicht bereit ist, etwas hinzunehmen, das sich nicht rational erklären lässt.«
»Ich habe eine wissenschaftliche Ausbildung genossen«, gab Sir Walter zurück, »und ich hatte einen hervorragenden Lehrer.«
»Mag sein. Aber dieser Lehrer hat mit zunehmendem Alter erkannt, dass Wissenschaft und Rationalität nicht das Ende aller Weisheit darstellen, sondern allenfalls ihren Anfang. Je mehr man weiß, desto deutlicher gelangt man zur Erkenntnis, im Grunde nichts zu wissen. Und je mehr wir die Welt mit der Wissenschaft zu greifen versuchen, desto mehr entgleitet sie uns. Ich für meinen Teil habe anerkannt, dass es Dinge gibt, die sich nicht ohne weiteres erklären lassen, und ich kann Ihnen nur raten, das ebenfalls zu tun.«
»Was erwarten Sie von mir, Professor?« Sir Walter musste schmunzeln. »Dass ich an faulen Zauber glaube? An schwarze Magie? An Dämonen und finstere Rituale?«
»Auch Robert the Bruce hat es getan.«
»Das ist keinesfalls erwiesen.«
Gainswick seufzte. »Ich sehe, mein Freund, Sie sind noch nicht so weit. Im hohen Alter, das versichere ich Ihnen, stellt sich vieles anders dar. Aber ich rate Ihnen dennoch, vorsichtig zu sein. Nehmen Sie es als Ratschlag Ihres verrückten alten Professors, der nicht möchte, dass Ihnen oder Ihrem jungen Schützling etwas zustößt. Diese Schwertrune und das Geheimnis, für das sie steht, sind keinesfalls zu unterschätzen. Es geht dabei um Macht und um Einfluss. Darum, die Geschichte zu prägen und sie zu formen, mithilfe von Kräften, die außerhalb unseres Begreifens stehen. Es ist nicht irgendein Kampf, auf dessen Spuren Sie gestoßen sind – es ist die epische Schlacht zwischen Licht und Finsternis, die seit Anbeginn der Zeiten tobt. Vergessen Sie das nie.«
Der durchdringende Blick, mit dem der Gelehrte seine Besucher bedachte, behagte Quentin nicht. Er fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut und wäre am liebsten aufgestanden und nach Hause gegangen, wäre das nicht grob unhöflich gewesen.
Sein Onkel mochte nichts halten von Dämonen und finsteren Ritualen. Quentin hingegen flößte solches Gerede einen Heidenrespekt ein. Zwar hatte er mit eigenen Augen gesehen, dass die Reiter, die Abbotsford in jener Nacht überfallen hatten, keine Gespenster, sondern Wesen aus Fleisch und Blut gewesen waren, aber je mehr sie darüber erfuhren, desto unheimlicher kam ihm das Ganze vor.
Hatten sie es wirklich mit den Erben einer Bruderschaft zu tun, deren Wurzeln Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückreichten? Die so mächtig war, dass sie die schottische Geschichte maßgeblich beeinflusst hatte? Sicher waren ein alter Mann und ein unerfahrener Bursche dann nicht die geeigneten Personen, ein solches Geheimnis zu lüften …
»Ich werde es nicht vergessen«, sagte Sir Walter zu Quentins Erleichterung – allerdings lag
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