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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Korridor eilte er in die Eingangshalle. Dort wandte er seine Aufmerksamkeit der Täfelung aus Eichenholz zu, die er mit Argusaugen musterte.
    »Onkel?«, fragte Quentin unsicher.
    »Keine Sorge, mein Junge, es geht mir gut«, versicherte Sir Walter, während er den Blick über die sorgfältig gearbeiteten und mit Handschnitzereien verzierten Platten gleiten ließ, die mehrere hundert Jahre alt waren. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf die Kanten, die dem Betrachter abgewandt waren.
    Quentin stand vor Staunen der Mund offen. Hätte er gewusst, wonach sein Onkel Ausschau hielt, hätte er ihm freilich geholfen; so blieb ihm nichts, als ratlos zuzusehen, wie Sir Walter jede einzelne Platte der Täfelung absuchte und mit den Fingern über die Kanten fuhr, von denen grauer Staub aufstieg.
    »Ich werde die Diener anweisen müssen, diesen Teil des Gebäudes einer gründlichen Reinigung zu unterziehen«, sagte Sir Walter hustend. »Weißt du, woher diese Tafeln stammen, mein Junge?«
    »Nein, Onkel.«
    »Sie stammen aus der Abteikirche von Dunfermline«, erklärte Sir Walter, während er unbeirrt weitersuchte. »Als man vor vier Jahren daranging, den Ostflügel neu zu errichten, wurden einige Reste der alten Bausubstanz entfernt, unter anderem auch diese wunderbaren Arbeiten, die ich daraufhin erwarb und nach Abbotsford bringen ließ.«
    »Dunfermline«, wiederholte Quentin nachdenklich. »Ist das nicht die Kirche, in der man das Grab von Robert the Bruce gefunden hat?«
    Scott unterbrach seine Suche für einen Augenblick, um seinem Neffen anerkennend zuzulächeln. »Das stimmt. Es freut mich, Quentin, dass die Geschichtslektionen, die ich dir zukommen lasse, nicht ganz umsonst sind.«
    »Das Grab wurde vor vier Jahren zufällig im Zuge der Bauarbeiten entdeckt«, stellte Quentin sein Wissen unter Beweis. »Bis dahin wusste man nicht, wo sich das Grab von König Robert befindet.«
    »Auch das ist richtig, mein Junge.« Sir Walter bückte sich, um die Abschlusskante einer weiteren Holztafel zu prüfen. »Aber möglicherweise war es gar kein Zufall, dass König Roberts Grab gefunden wurde. Es sind nicht wenige, die behaupten, dass die Geschichte stets dann ihre Geheimnisse preisgibt, wenn die Zeit dafür reif … Ha!«
    Letzteres war ein triumphierender Ausruf, der Quentin zusammenzucken ließ. »Was ist, Onkel?«
    »Komm her, mein Junge«, forderte Scott ihn auf. »Bring eine Kerze mit. Und wenn es irgend möglich ist«, fügte er schmunzelnd hinzu, »lass sie dieses Mal nicht fallen, in Ordnung?«
    Quentin eilte zu einem der Kandelaber, die die Eingangshalle säumten, und nahm eine Kerze heraus. Sogleich eilte er damit zu seinem Onkel, dessen Gesichtsausdruck jungenhafte Freude verriet.
    »Dorthin mit dem Kerzenschein«, wies er seinen Neffen an, und Quentin hielt die Kerze so, dass ihr Licht auf die Kante der Täfelung fiel.
    In diesem Moment sah auch er es. Das Zeichen aus der Bibliothek.
    Quentin sog scharf die Luft ein, und um ein Haar wäre die Kerze seinem Griff entglitten, was ihm einen tadelnden Blick von Sir Walter eintrug.
    »Was hat das zu bedeuten, Onkel?«, erkundigte sich der junge Mann aufgeregt, dessen Gesicht jetzt einige Ähnlichkeit mit einer reifen Tomate hatte.
    »Das ist eine Rune«, erklärte Sir Walter zufrieden.
    »Eine Rune? Du meinst, ein heidnisches Schriftzeichen?«
    Sir Walter nickte. »Obwohl im Mittelalter christliche Schrifttypen weit verbreitet waren, hielten sich die heidnischen Symbole noch weit bis ins vierzehnte Jahrhundert hinein, vor allem unter denen, die viel Wert auf alte Traditionen legten. Häufig verloren sie dabei ihre ursprüngliche Bedeutung – diese hier zum Beispiel hat ein Handwerker als sein Zeichen verwendet.«
    »Ich verstehe«, sagte Quentin. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. »Und du meinst, was ich in der Bibliothek gesehen habe, war ebenfalls nur das Zeichen eines Handwerkers? Dann ist meine Entdeckung wohl nicht so aufregend, wie ich dachte.«
    »Mitnichten, mein lieber Neffe, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wurde die Galerie im Archiv von Kelso erst vor knapp hundert Jahren errichtet, während diese Täfelung wesentlich älter ist. Es kann sich also schwerlich um denselben Handwerker gehandelt haben.«
    »Möglicherweise um seinen Nachkommen?«, fragte Quentin vorsichtig.
    »Das wäre in der Tat ein sehr erstaunlicher Zufall. Ebenso wie es Zufall gewesen sein müsste, dass just in dem Regal, das du mit diesem Zeichen markiert vorfandest,

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