Die Bruderschaft der Runen
gestand Dellard unvermittelt. »Allerdings beunruhigt es mich, wenn selbst ein Einfaltspinsel wie Sie mich so einfach durchschauen kann.«
»Wie bitte, Sir?« Ratlosigkeit sprach aus Slocombes Zügen. Dellards Unverfrorenheit überstieg sein schlichtes Gemüt.
»Ich habe Scott tatsächlich etwas verheimlicht«, erklärte Dellard unwirsch. »Aber nicht aus böser Absicht, sondern um ihn und seinen Neffen zu schützen.«
»Zu schützen? Wovor, Sir?«
Der Blick des Inspectors war lange und prüfend. »Wenn ich es Ihnen sage, Sheriff, dürfen Sie niemandem etwas davon verraten. Diese Angelegenheit ist von höchster Brisanz. Selbst in London wird nur hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen.«
Slocombe schluckte sichtbar. Seine vom Scotch ohnehin gerötete Haut wurde noch ein paar Nuancen dunkler, und trotz der Kühle des Morgens waren kleine Schweißperlen auf seiner breiten Stirn zu sehen.
»Natürlich, Sir«, lispelte er. »Ich werde schweigen wie ein Grab.«
»Dann sollen Sie wissen, dass der Mord in der Bibliothek von Dryburgh nicht der erste Vorfall dieser Art war.«
»Nein?«
»Allerdings nicht. Überall im Land ist es zu höchst mysteriösen Mordfällen gekommen, deren Täter Männer in schwarzen Kutten waren. Wir wissen, dass eine Gruppe schottischer Nationalisten dahinter steckt, die bereits wiederholt für Unruhe gesorgt hat. Seit den Umsiedlungen der Highland-Bewohner treiben diese Mordbrenner ihr Unwesen, jedoch ist es uns bislang noch nie gelungen, einen von ihnen zu fassen.«
»Ich verstehe«, hauchte Slocombe fast lautlos, und seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er sich nicht sicher war, ob er all das wirklich hören wollte.
»Zum einen wollte ich Sir Walter nicht beunruhigen. Jeder weiß, wie sehr er sich für die Belange Schottlands bei der Krone einsetzt, und ich möchte nicht, dass er sich wegen einiger Gesetzloser Sorgen macht. Zum anderen geben uns die Vorfälle in Kelso einen unschätzbaren Vorteil an die Hand, den wir bislang noch nie hatten.«
»Einen Vorteil? Ich fürchte, ich verstehe nicht, Sir …«
»In den bisherigen Fällen haben die Mörder immer wieder zugeschlagen, bis sie all jene ausgelöscht hatten, die in ihren Augen das schottische Vaterland an die englische Krone verraten haben. Sir Walter ist in den Augen vieler Schotten ein Held, weil er sich bei Hofe dafür eingesetzt hat, dass die alten schottischen Traditionen wieder gebilligt wurden. Andere hingegen halten ihn für einen Verräter am Schottentum, der mit der Krone faule Kompromisse schließt. Die Wahrheit liegt stets im Auge des Betrachters.«
Slocombe sog scharf die Luft ein. Allmählich sickerte das Gehörte in seine vom Alkoholgenuss verlangsamten Gedankengänge. »Sie meinen, jemand will Sir Walter ermorden?«
»Nicht nur ihn. Seine gesamte Familie und alle, die um ihn sind. Und dazu ist diesen Sektierern jedes Mittel recht. Verstehen Sie jetzt, weshalb ich Sir Walter nichts darüber sagen konnte?«
Der Sheriff nickte bedächtig. »Aber«, wandte er nach kurzem Überlegen ein, »wäre es nicht klug, Scott über die wahren Hintergründe der Vorfälle in Kenntnis zu setzen? Er könnte entsprechende Maßnahmen treffen, um sich und seine Familie zu schützen.«
»Nein.« Dellard schüttelte entschieden den Kopf. »Das möchte ich nicht.«
»Aber sagten Sie nicht soeben, dass die Mörder nicht aufgeben werden, bis sie ihr Ziel erreicht haben?«
»Genau das.«
»Dann …« Slocombe starrte sein Gegenüber fassungslos an. »Sie nehmen dieses Wagnis bewusst in Kauf. Sie wollen Scott und seine Familie als Lockvögel benutzen.«
»Ich habe keine andere Wahl.« Dellard verzog keine Miene. »Diese Mordbrenner haben bereits dutzende von Menschenleben auf dem Gewissen, und der Kreis ihres Wirkens weitet sich immer weiter aus. Im Norden haben sie längst für Unruhe gesorgt, jetzt strecken sie ihre Hände nach dem Süden aus. Das muss ein Ende haben, schon in Ihrem ureigensten Interesse. Denn was würde wohl geschehen, wenn die Krone den Eindruck gewänne, dass Schottland nicht mehr sicher ist?«
»Man würde Truppen schicken«, sagte Slocombe leise. »Noch mehr davon.«
Dellard nickte. »Sie sehen, dass ich auf Ihrer Seite bin. Aber es darf kein Wort von dieser Unterhaltung nach draußen dringen, haben Sie mich verstanden?«
»Natürlich, Sir.«
»Scott und seine Familie dürfen nicht wissen, in welcher Gefahr sie schweben. Ich werde sie mit meinen Leuten bewachen und dafür sorgen, dass ihnen
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