Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
blickte er hinunter in einen von Fackeln erleuchteten, großen Innenhof, der Ähnlichkeiten mit einer kleinen Arena hatte. Im nächsten Moment drang der Blick durch eine Wand hindurch und fiel auf eine gemauerte, zisternenähnliche Grube, die oben mit einem Gitter abgedeckt war. Und in diesem engen Gefängnis lag McIvor, völlig nackt! Er sah ihn ganz deutlich! Einen Moment später verschwamm die enge, gemauerte Grube mit McIvor vor seinem Auge und machte einem anderen verwirrenden Bild Platz. Ihm war, als flöge er wie ein Vogel im Sturzflug aus gewaltiger Höhe über das nächtliche Häusermeer von Cairo hinweg. Ein große Wasserfläche tauchte unter ihm auf. Der Nil! Dann raste eine große Insel mit vielen Seitenkanälen auf ihn zu, an deren Ufern sich großartige Paläste mit weitläufigen Garten-anlagen erhoben. Auf einen dieser Paläste stürzte er wie ein Raubvogel zu, der tief unter sich ein ahnungsloses Opfer erspäht hat. Das verwinkelte Gebäude mit seinen Erkertürmen an der Wasserseite raste ihm entgegen. Gleich musste er an den Mauern des Palastes zerschellen! Seltsamerweise verspürte er jedoch keine Angst. Und dann stürzte er, ohne Widerstand zu verspüren, durch Turmgitter, Deckenbalken und Mauersteine. Prachtvolle Gemächer flogen auf dem Weg in die Tiefe des Palastes wie die Splitter eines zerberstenden Feuertopfes an ihm vorbei. Einen Herzschlag später endete der Sturzflug – und er blickte in ein unterirdisches, vergittertes Kerkergewölbe. Zwei Männer kauerten dort im dreckigen Stroh. Es waren Gerolt und Maurice! Er hatte sie so nahe vor Augen, dass er meinte, seine Hand ausstrecken und sie berühren zu können! Und Gerolt war wach. Er kniete, hatte die Hände zum Gebet gefaltet und blickte ihm geradewegs ins Gesicht! Für einen langen Moment verharrte das Bild so vor seinem inneren Auge. Dann fiel es wie ein erlöschendes Talglicht in sich zusammen und alles wurde dunkel, als hätte der pechschwarze Schlund jegliches Licht verschluckt. Tarik war schweißnass, schwindelig und zitterte am ganzen Körper wie nach einer ungeheuren Anstrengung, als er aus dem tranceähnlichen Zustand erwachte. Jetzt fiel sein Blick wieder auf den breiten Fluss. Wie der gewundene Leib einer silbrigen Schlange lag der Nil unter dem Glanz von Mond und Sternen in seinem Bett. Alles war wie vorher, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Und der weiße Greif war nun nur noch ein heller Punkt, der mit atemberaubender Geschwindigkeit hoch oben im Nachthimmel entschwand. Fassungslos saß Tarik im Gras, und sosehr er auch zitterte, so sehr spürte er doch auch die Kraft und Zuversicht, die ihn auf einmal erfüllte. Er hatte ein göttliches Zeichen erhalten! Der Heilige Geist hatte ihm in seiner Not und Verzweiflung den weißen Greif geschickt und ihn durch das Auge Gottes seine Gefährten erblicken lassen. Und was das bedeutete, darüber gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel. Nach dieser Offenbarung wusste er mit unerschütterlicher Gewissheit, dass er seine Freunde auf keinen Fall im Stich lassen durfte. Und plötzlich erinnerte er sich an das, was Abbé Villard ihnen bei einem ihrer Gespräche gesagt hatte: »Wer keine Güte hat, der hat auch keinen Glauben!«
Und genau so war es. Er würde nach Gerolt, Maurice und McIvor suchen und notfalls Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu befreien! Sie brauchten einander, denn die Reise, die der Heilige Gral noch nehmen musste, war lang und voller Gefahren. Und diese würden sie nur gemeinsam bestehen. Sie würden wieder zueinanderfinden und den Heiligen Gral ge meinsam nach Paris in den Tempel bringen! Wie das geschehen sollte, das lag noch im Dunkeln und würde ihm sicherlich noch ei niges Kopfzerbrechen bereiten. Aber schon morgen würde er da mit beginnen, über einen Plan zur Befreiung seiner Freunde nachzusinnen. Füreinander in fester Treue! Der Schwur galt!
Nachwort zum Ende von Akko n
Nachdem die muslimischen Sturmtruppen den äuße ren und inneren Verteidigungswall von Akkon über wunden hatten, breiteten sie sich rasch überall in der Stadt aus. In den erbitterten Straßenkämpfen mit den restlichen Kreuzrittern und deren Hilfstruppen floss noch viel Blut, aber das eigentliche Massaker begann erst, nachdem auch dieser letzte Widerstand gebrochen war. Die Mamelucken brachten in einer Orgie der Gewalt jedermann, alte Männer, Frauen und Kinder, ohne Unterschied um – und rächten sich damit für das ähnlich entsetzliche Blutbad, das die
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