0925 - Blutzoll
Was hatte das zu bedeuten?
Genau wußte ich es nicht, aber die andere Seite hatte an einer anderen Stelle zugeschlagen. Fern von mir, denn ich war woanders beschäftigt gewesen.
Es wollte mir nicht in den Kopf, und ich wischte über meine schweißnasse Gesichtshaut. Das Herz schlug nicht mehr so schnell, auch die normale Umgebung nahm ich wieder besser wahr, und ich stellte fest, daß ich noch immer in meinem Rover saß.
Das Bild blieb ebenso bestehen wie das auf meinen Knien liegende Totenbuch.
Bis beinahe zur Hälfte war es beschrieben worden. Die anderen Seiten hatte ich beim ersten Betrachten leer gesehen, jetzt aber war wie aus dem Nichts die Zeichnung entstanden und ausgerechnet mein Freund Suko als Mittelpunkt.
Das Stöhnen floß aus meinem Mund, und ich wußte nicht, wie ich mit der neuerlichen Entdeckung zurechtkommen sollte. Alles hatte sich radikal verändert, und meine Gedanken schweiften ab zu Shao, die ihren Partner Suko begleitet hatte, wie ich aus dem letzten Gespräch mit Sir James wußte.
Sie aber sah ich nicht auf dem Bild!
Warum nicht? War sie verschwunden? Hatte sie sich im letzten Augenblick retten können?
Ich wußte gar nichts mehr. Mir war nur klar, daß ich so schnell wie möglich aus dieser Gartensiedlung verschwinden mußte. Zurück nach Soho, wo der Fall seinen Beginn gehabt hatte.
Zurück in den Anbau, der wie ein Klotz in einem Hinterhof stand und meines Erachtens zu dem China-Lokal gehörte, das sich vorn an der Straße befand.
Da hatte ich den Schwerverletzten gefunden. Da hatte ich zum erstenmal von dem rätselhaften Begleiter erfahren, der Menschen beim Selbstmord begleitete und ihnen das Reich der Toten durch Wort und jetzt auch Bild schmackhaft machte, denn alles sollte in diesem Totenbuch vereinigt sein.
Ich hatte gelesen, als vor wenigen Minuten plötzlich das Bild aus dem Nichts entstanden war.
Tief atmete ich durch. Feuchte Luft umgab mich. Es war wahnsinnig schwül, aber ein Gewitter wollte nicht kommen. Sicherlich würde es gleich anfangen zu regnen, dann flossen wahre Sturzbäche vom Himmel.
Ich sah, wie die tote Carol Holmes in einem primitiven Sarg weggetragen wurde. Sie hatte auf den Begleiter und auf das Totenbuch vertraut, um ihren Selbstmord glatt über die Bühne bringen zu können. Es war mir gelungen, sie davon abzuhalten, aber ich hatte es nicht geschafft, sie vor einem heimtückischen Mord zu beschützen, denn da war plötzlich der Schatten erschienen, und er hatte ein echtes, kein Schattenmesser, in den Rücken der Frau gerammt.
Ich war als Zeuge dabeigewesen.
Ich hatte Carol nicht helfen können, die in meine Arme gefallen war. Noch immer klebte ihr Blut an meiner Kleidung und hatte an bestimmten Stellen Flecken hinterlassen.
Jemand trat an meinen Wagen heran. Es war Gordon Scott, der Chef der Mordkommission. Er beugte sich zu mir herab und nickte mir zu. »Ich habe mit Ihrem Chef telefoniert. Was Sie mir vorhin gesagt haben, geht voll in Ordnung.«
»Das war mir klar.«
Er nickte mir noch einmal zu, tippte gegen den Rand seiner Schirmmütze und erklärte mir, daß er sich mit seiner Mannschaft wieder auf den Weg machen wollte.
»Tun Sie das, Mr. Scott, um den Fall hier kümmere ich mich.«
»Wissen Sie was? Darüber bin ich froh.«
»Das kann Ihnen niemand verdenken.«
Ich war froh, daß Scott mit seiner Mannschaft verschwand, denn ich wollte mit meinen Gedanken allein sein und von niemandem gestört werden. Dieser verfluchte Fall zerrte an meinen Nerven.
Wieder kam ich mir vor, als führte mich jemand an der langen Leine.
Aber wer war diese Person?
Der Schatten oder auch der Begleiter genannt, der dafür sorgte, daß Suizid-Kandidaten den »schönen« Selbstmord begehen konnten? Man mochte es drehen und wenden, wie man wollte, zu einem Ergebnis kam ich vorläufig nicht. Die Spur lag vor mir. Es war die Zeichnung, in die mein Freund urplötzlich eingetaucht war.
An eine Halluzination glaubte ich nicht. Der Schatten spielte mir nichts vor. Es gab meinen Freund in der Zeichnung. Er war so verdammt existent, und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich fuhr mit dem Zeigefinger über die Zeichnung, aber auch über Sukos Gestalt hinweg um herauszufinden, ob es mir gelang, sie zu verschmieren oder sie durch den Schweiß meiner Hände wegzuradieren.
Nichts klappte.
Ich mußte feststellen, daß sie nicht mit einem normalen Bleistift gemalt worden war. Man hatte etwas anderes genommen. Was es war, fand ich durch meine Bemühungen nicht
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