Die Brücke
von außen nicht zu sehen war, oder lag in dem
oberen Bett eines Schlafabteils und lugte durch halb zugezogene
Vorhänge auf die Brücke draußen. Ich trank Wasser an
den Waschbecken der Toiletten und gab mich Träumen oder
Tagträumen über Essen hin.
Die Wagen wurden des Nachts nicht beleuchtet, nur von
draußen fiel flackerndes, gelb-orangefarbenes Licht ein. Mit
jedem Tag wurde es wärmer, und die Sonne wurde heller. Die
allgegenwärtigen Formen der Brücke vor den Fenstern
veränderten sich offenbar nicht, wohl aber die Leute, die ich
gelegentlich neben den Gleisen erblickte. Ihre Haut zeigte eine
andere Farbe, wurde um so dunkler, je stärker die Sonne
schien.
Doch nach ein paar Tagen schien das Licht wieder schwächer zu
werden, während ich, schwach vor Hunger, in einem langen
Liegesitz wie ein loser Gegenstand durchgerüttelt wurde. Langsam
glaubte ich, das Licht habe sich nicht verändert, es sei
vielmehr etwas in meinen Augen, das die Leute wie Schatten wirken
ließ. Die Augen taten mir übrigens weh.
Dann erwachte ich eines Nachts aus einem Traum von der letzten
Mahlzeit, die ich zusammen mit Abberlaine Arrol eingenommen hatte,
und sah, daß es sehr dunkel war, sowohl innerhalb als auch
außerhalb des Wagens.
Kein Licht kam von der Brücke draußen, keine
Chrom-Leiste reflektierte einen Schimmer, und auch meine eigene Hand,
die ich mir vors Gesicht hielt, war nicht zu erkennen. Ich
schloß die Augen und drückte sie, doch ich sah nur das
falsche Nervenlicht, das die Reaktion der Augen auf Druck ist. Ich
tastete mich zur nächsten Wagentür, öffnete das
Fenster und spähte hinaus. Ein merkwürdiger, dicker,
schwerer Geruch drang durch die warme Luft in den Wagen. Anfangs
beunruhigte er mich, da war keine Spur von Salz, von Farbe oder
Öl oder auch nur von Rauch und Dämpfen.
Dann sah ich einen schwachen Lichtstreifen über mir, der sich
sehr langsam bewegte. Der Zug fuhr immer noch nahezu mit
Höchstgeschwindigkeit – der Fahrtwind brauste durch das
Fenster und zerrte an meiner losen Kleidung –, aber was das auch
für ein Licht sein mochte, es bewegte sich sehr langsam
über dem Zug. Es mußte sehr weit entfernt sein. Eine
Wolkenbank, dachte ich, angestrahlt von Sternenlicht. Dann kam mir zu
Bewußtsein, daß ich diesen Lichtstreifen sehen konnte,
ohne daß Träger und Balken den Anblick in flackernde
Fragmente hackten.
Ein Teil der Brücke, wo die lasttragende Struktur unter der
Zugebene lag? Mir wurde wieder schwach.
Dann wurde der Zug an einigen Weichen langsamer, und bevor er
wieder Geschwindigkeit gewann, konnte ich durch das verringerte
Fahrtgeräusch die fernen Laute eines dunklen, wilden Waldes
hören und sah, daß der Lichtstreifen, den ich für
eine Wolkenbank gehalten hatte, ein unregelmäßig
bewaldeter Bergkamm in zwei Meilen Entfernung war. Ich lachte vor
Freude und Entzücken und saß am Fenster, bis der Morgen
graute und der grüne Wald von duftendem Nebel dampfte.
An dem Tag wurde der Zug langsamer und kam in die
Außenbezirke einer ausgedehnten Stadt. Er wand sich durch einen
großen Verschiebebahnhof auf einen langen, niedrigen Bahnhof
zu. Ich versteckte mich in einem Wäscheschrank. Der Zug hielt
an. Ich hörte Stimmen, das Schwirren nicht zu identifizierender
Maschinen innerhalb der Wagen, dann nichts mehr. Ich wollte den
Schrank verlassen, aber er war von außen abgeschlossen worden.
Während ich dasaß und grübelte, was ich jetzt
anfangen sollte, erklangen neue Stimmen durch die metallene
Schranktür, und ich gewann den Eindruck, daß sich der Zug
mit Menschen füllte. Nach ein paar Stunden setzte er sich wieder
in Bewegung. Ich schlief diese Nacht in dem verschlossenen Schrank
und wurde am nächsten Morgen von einem Steward entdeckt.
Der Zug war voll von Fahrgästen, gut angezogenen Damen und
Herren, die aussahen, als kämen sie von der Brücke. Sie
trugen Sommeranzüge und -kleider, sie tranken in den
Aussichtswagen an Tischchen Cocktails mit klingelndem Eis. Vage
angewiderte Blicke trafen mich, als ich in meinen zerdrückten,
miefigen Sachen durch den Zug geführt wurde, ein Arm von der
Hand eines Bahnpolizisten schmerzhaft hinter meinem Rücken
hochgedrückt. Die Landschaft draußen war gebirgig, voll
von Tunneln und hohen Viadukten, die von Felsblöcken zerrissene
Flüsse überspannten.
Ich wurde von einem der Hilfsheizer des Zuges verhört, einem
jungen Mann in strahlendweißer Uniform, die mir in anbetracht
seines Rangs ganz unangemessen fleckenlos vorkam.
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