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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Er fragte mich,
wieso ich an Bord sei; ich erzählte ihm die Wahrheit. Ich wurde
durch den Zug zurückgeführt und in einem kahlen,
abgetrennten Abteil eines Gepäckwagens eingeschlossen. Meine
Kleidung wurde mir weggenommen und gewaschen wiedergegeben. Das
Taschentuch mit meinem Monogramm, auf dem Abberlaine Arrol ein
verschmiertes rotes Abbild ihrer Lippen zurückgelassen hatte,
kam ganz und gar sauber zurück.
    Der Zug fuhr tagelang durch Berge und dann über eine
hochgelegene, grasbewachsene Ebene, wo sich ferne Tierherden bei
seiner Annäherung zerstreuten und flohen und der Wind
unaufhörlich blies. Nach der Ebene begann er zu einer weiteren
Bergkette hochzusteigen. Er wand sich hindurch und überwand
weitere spindelige Viadukte und lange Tunnel. Nun ging es die ganze
Zeit bergab. Unterwegs wurde in kleinen, ruhigen Städten
haltgemacht, zwischen Wäldern und grünen Seen und
Felsnadeln. Die kahle, ratternde kleine Zelle besaß nur ein
einziges Fensterchen, zwei Fuß lang und sechs Zoll hoch, aber
ich konnte die Landschaft recht gut sehen, und die frischen, seltenen
Gerüche der Berge und Hochebenen drangen durch die große
Gepäcktür an dem einen Ende des Wagens ein und hüllten
mich in Düfte, bei denen mir auf quälende Weise war, als
seien es alte Erinnerungen.
    Ich hatte weitere Träume außer dem immer
wiederkehrenden von dem Mann in dieser Stadt von ernster
Schönheit. Eines Nachts träumte ich, ich wachte auf und
ginge zu meinem kleinen Fenster und blickte über eine mit
Felsblöcken besäte Ebene hin und sähe zwei Reihen
schwacher Lichter, die sich einander über der vom Mond
beschienenen Öde näherten. Gerade als sie sich erreicht
hatten und stehenblieben, brauste der Zug in einen Tunnel. Bei einer
anderen Gelegenheit meinte ich, während des Tages hinauszusehen.
Der Zug fuhr über eine große Klippe an einem blauen,
glitzernden Meer. Am Klippenrand hingen wattige Wolken, und andauernd
stürzten wir uns hinein und rasten wieder daraus hervor, und ein
paarmal meinte ich in den klaren Stellen durch Hitzeschleier weit
unten auf dem sonnenglitzernden Meer zwei Schiffe zu sehen, die
nebeneinander herfuhren, und der Zwischenraum war mit grauen
Rauchwolken und sausenden Flammen gefüllt. Aber das war ein
Tagtraum.
     
    Zum Schluß ließen sie mich hier, nach den Bergen und
den Hügeln und der Tundra und einer weiteren, niedrigeren,
kälteren Ebene. »Hier« ist die Republik, ein kaltes,
konzentrisches Gebiet, das einmal, wie es heißt, als das Auge
Gottes bekannt war. Man erreicht dieses Land von der unfruchtbaren
Ebene aus über einen langen Damm, der das Wasser eines riesigen
grauen Binnenmeeres teilt. Das Meer ist fast vollkommen kreisrund,
und die große Insel in seiner Mitte kommt dieser geometrischen
Figur ebenfalls sehr nahe. Das erste, was ich sah, war die Mauer, die
graue Mauer am Meer, bespült von einer schwachen Brandung und
überragt von niedrigen Türmen. Wie sie in dem Dunst ferner
Regenschauer verschwand, sah es aus, als krümme sie sich in die
Unendlichkeit. Der Zug ratterte durch einen langen Tunnel, über
einen tiefen Wassergraben und dann durch eine weitere Mauer. Dahinter
lagen die Insel und die Republik, ein Land der Weizenfelder und des
Windes, der niedrigen Hügel und der grauen Gebäude. Es
machte den Eindruck, heruntergekommen und gleichzeitig voller Energie
zu sein. Diese grauen Gebäude rückten hin und wieder
für makellose Paläste und Tempel eines offensichtlich
früheren Zeitalters beiseite, die perfekt restauriert waren,
aber anscheinend nicht benutzt wurden. Dann war da auf jeder Seite
ein meilenlanger Friedhof, vollgepackt mit Millionen von identischen
weißen Pfeilern, die sich geometrisch über ein grünes
Meer aus Gras verteilten.
    Ich lebe in einem Schlafsaal mit hundert anderen Männern. Ich
fege Blätter von den breiten Wegen eines Parks. Hohe graue
Gebäude erheben sich auf allen Seiten, klobige viereckige Formen
vor dem körnigen, staubig-blauen Himmel. Oben auf den
Gebäuden sind kleine, dünne Türme. Fahnen sehe ich
nicht von ihnen flattern.
    Ich fege die Blätter sogar dann, wenn es gar keine
Blätter zu fegen gibt; das ist Gesetz. Als ich hier ankam, hatte
ich den Eindruck, dies sei ein Gefängnis, aber das ist nicht der
Fall, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinn. Mir kam es damals so
vor, als sei jeder Mensch, den ich sah, entweder ein Gefangener oder
ein Wächter, und auch als ich gewogen und gemessen und
untersucht und mit einer Uniform ausgestattet und

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