Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
gnädiger Herr! Man bekommt richtig Angst, wenn man Sie fährt, so sonderbare Reden führen Sie ...«
    Doch Mitja hörte nicht auf ihn. Er betete verzückt und flüsterte in wilder Erregung vor sich hin: »Herr, nimm mich hin in meiner ganzen Schlechtigkeit, aber richte mich nicht! Laß mich vorüber ohne dein Gericht ... Richte mich nicht, denn ich habe mich selbst gerichtet. Richte mich nicht, denn ich liebe dich, Herr! Ich bin ein gemeiner Mensch, aber ich liebe dich! Und wenn du mich in die Hölle schickst, werde ich dich auch dort lieben! Ich werde dort schreien, daß ich dich in alle Ewigkeit liebe ... Aber laß mich bis zum Ende lieben ... Hier, jetzt bis zum Ende lieben, nur noch fünf Stunden, bis zum ersten feurigen Strahl deiner Sonne ... Denn ich liebe die Königin meiner Seele. Ich liebe sie, und ich kann nicht anders, als sie lieben. Du siehst mich so, wie ich bin. Ich werde hinkommen und vor ihr niederfallen. ›Du hast recht daran getan‹, werde ich sagen, ›daß du an mir vorübergegangen bist ... Lebe wohl und vergiß dein Opfer! Beunruhige dich nicht mehr um meinetwillen!‹«
    »Mokroje!« rief Andrej und deutete mit der Peitsche nach vorn.
    Aus dem dämmrigen Dunkel der Nacht trat eine feste, schwarze Masse von Gebäuden hervor, die sich über einer gewaltigen Fläche ausbreiteten. Das Dorf Mokroje zählte zweitausend Seelen; um diese Stunde schlief jedoch schon alles, nur hier und da schimmerten spärliche Lichter durch die Dunkelheit.
    »Fahr schnell, Andrej, noch schneller! Sie sollen merken, daß ich angefahren komme!« rief Mitja wie im Fieber.
    »Sie schlafen nicht!« sagte Andrej und wies mit der Peitsche auf das Gasthaus von Plastunow, das gleich am Eingang des Dorfes lag und in welchem die sechs Fenster zur Straße sämtlich hell erleuchtet waren.
    »Sie schlafen nicht!« wiederholte Mitja erfreut. »Mach tüchtigen Lärm, Andrej, fahr Galopp, laß die Schellen laut klingeln, fahr mit Gepolter vor! Alle sollen wissen, daß ich gekommen bin! Ich komme! Ich komme selbst!« brüllte Mitja wie ein Verrückter.
    Andrej trieb die ohnehin abgehetzten Pferde in Galopp, fuhr wirklich mit lautem Gepolter an der hohen Freitreppe vor der Haustür vor und hielt seine dampfenden, atemlosen Pferde an. Mitja sprang aus dem Wagen, und der Wirt, der schon hatte schlafen gehen wollen, schaute neugierig von der Freitreppe herab, wer da wohl so wild vorgefahren kam.
    »Trifon Borissowitsch«, bist du es?«
    Der Wirt beugte sich vor, blickte genauer hin, lief dann Hals über Kopf die Freitreppe herunter und stürzte mit unterwürfigem Entzücken auf den Gast los.
    »Väterchen Dmitri Fjodorowitsch! Sehe ich Sie wieder?«
    Dieser Trifon Borissowitsch war ein stämmiger, mittelgroßer, gesunder Mann bäuerlicher Herkunft. Sein etwas dickes Gesicht hatte einen strengen, unerbittlichen Ausdruck, vor allem den Bauern von Mokroje gegenüber, aber er hatte die Fähigkeit, schnell die unterwürfigste Miene aufzusetzen, sobald er einen Vorteil für sich witterte. Er trug russische Kleidung: ein Hemd mit schrägem Kragen und ein ärmelloses Wams. Er besaß ein erhebliches Kapital, trachtete jedoch unermüdlich danach, eine größere Rolle zu spielen. Mehr als die Hälfte der Bauern befand sich in seinen Krallen; sie waren ihm alle tief verschuldet. Er pachtete von den Gutsbesitzern Land, kaufte auch selbst welches, und die Bauern mußten ihm dieses Land bearbeiten wegen ihrer Schulden, aus denen sie doch nie herauskommen konnten. Er war Witwer und hatte vier erwachsene Töchter; eine von ihnen war schon verwitwet, wohnte mit ihren beiden kleinen Kindern bei ihm und arbeitete für ihn wie eine Tagelöhnerin. Die zweite Tochter war trotz ihrer bäuerlichen Herkunft mit einem Beamten verheiratet, der sich vom kleinen Schreiber hinaufgedient hatte; in einem Zimmer des Gasthauses konnte man an der Wand unter den Familienphotographien kleinsten Formates auch die Photographie dieses Beamten in seiner Uniform mit Achselklappen sehen. Die beiden jüngsten Töchter zogen bei Kirchweihfesten, oder wenn sie irgendwohin zu Besuch gingen, himmelblaue oder grüne Kleider an, die nach der neuesten Mode gearbeitet waren, hinten eng anliegend und mit langer Schleppe; am nächsten Morgen aber standen sie wie alle Tage früh auf, fegten mit Reisigbesen die Stuben, trugen aus den Gästezimmern das schmutzige Wasser hinaus und brachten dort wieder alles in Ordnung. Obwohl Trifon Borissowitsch schon Tausende erworben hatte, nahm er doch

Weitere Kostenlose Bücher