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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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war dieselbe Nacht und vielleicht sogar dieselbe Stunde, da Aljoscha auf die Erde niedersank und in Verzückung schwor, sie sein Leben lang zu lieben. Aber es sah wirr, sehr wirr in Mitja aus, und obgleich vieles seine Seele quälte, strebte in diesem Moment doch sein ganzes Wesen unwiderstehlich nur zu ihr, seiner Königin, zu der er hineilte, um sie zum letztenmal zu sehen. Ich will nur das eine sagen: Sein Herz sträubte sich gegen diese Entscheidung auch nicht einen Augenblick. Man wird mir vielleicht nicht glauben, wenn ich behaupte, daß dieser von Natur aus eifersüchtige Mensch gegenüber diesem neuen Nebenbuhler, diesem Offizier, nicht die geringste Eifersucht empfand. Auf jeden anderen wäre er sofort eifersüchtig gewesen und hätte vielleicht seine Hände erneut mit Blut befleckt; doch ihm, »ihrem Früheren« gegenüber, empfand er jetzt, während er auf seiner Troika dahinflog, keinerlei Eifersucht, nicht einmal ein feindliches Gefühl – allerdings hatte er ihn noch nicht gesehen. ›Da kann es keinen Zweifel geben: sie sind im Recht. Das ist ihre erste Liebe, die sie in den ganzen fünf Jahren nicht vergessen hat, also hat sie in diesen fünf Jahren nur ihn geliebt. Ich aber, warum habe ich mich dazwischengedrängt? Was spiele ich dabei für eine Rolle? Was habe ich damit zu schaffen? Tritt beiseite, Mitja, gib den Weg frei! Und was will ich jetzt überhaupt noch? Jetzt ist auch ohne den Offizier alles zu Ende! Auch wenn er gar nicht erschienen wäre, würde alles zu Ende sein ...‹
    Etwa mit diesen Worten hätte er seine Gefühle ausdrücken können, wenn er überhaupt einer Überlegung fähig gewesen wäre. Aber er war damals nicht mehr imstande zu überlegen. Sein jetziger Entschluß war ohne jedes Überlegen in einem Nu entstanden, war ihm schon bei Fenja, bei ihren ersten Worten, vom Gefühl eingegeben und in seinem ganzen Umfang, mit allen Folgen von ihm akzeptiert worden.
    Und trotzdem, obwohl er seinen Entschluß gefaßt hatte, sah es wirr in seiner Seele aus, so wirr, daß er schwer darunter litt: Auch der Entschluß hatte ihm nicht zur Ruhe verholfen. Gar zu vieles lag hinter ihm und quälte ihn. Und in manchen Augenblicken kam ihm seltsam vor: Er hatte ja eigenhändig sein Urteil auf ein Blatt Papier geschrieben: »Ich richte mich«, und dieses Papier steckte fix und fertig in seiner Tasche, und die Pistole war schon geladen, und er hatte schon beschlossen, wie er am nächsten Tag den ersten feurigen Strahl des »goldlockigen Phöbus« begrüßen wollte – und dennoch konnte er sich mit der Vergangenheit, mit allem, was hinter ihm lag und ihn quälte, nicht abfinden! Das fühlte er wie eine Marter, dieser Gedanke haftete fest in seiner Seele und brachte ihn zur Verzweiflung. Es gab auf dieser Fahrt einen Augenblick, wo er auf einmal Lust bekam, Andrej halten zu lassen, aus dem Wagen zu springen, seine geladene Pistole hervorzuholen und alles zu beenden, ohne erst auf den Tagesanbruch zu warten. Aber dieser Augenblick flog vorüber wie ein Funke. Und auch die Troika flog dahin, und je näher er dem Ziel kam, desto stärker nahm wieder der Gedanke an sie, an sie allein, ihm den Atem und verjagte alle übrigen furchtbaren Gespenster aus seinem Herzen. Oh, sehen wollte er sie, wenn auch nur flüchtig, wenn auch nur von weitem! ›Sie ist jetzt mit ihm zusammen – nun, da werde ich eben sehen, wie sie jetzt mit ihm zusammen ist, mit ihrem früheren Geliebten, weiter will ich ja auch nichts.‹ Noch nie war seine Brust von einer so starken Liebe zu dieser Frau erfüllt, die für sein Schicksal so verhängnisvoll geworden war! Ein neues, starkes Gefühl wuchs in ihm, ein Gefühl, das er noch nie kennengelernt hatte, das ihm selbst unerwartet kam: Zärtlichkeit, daß er hätte zu ihr beten, vor ihr vergehen mögen. »Und ich werde auch vergehen!« sagte er auf einmal in einem Anfall hysterischer Begeisterung.
    Schon fast eine Stunde jagten sie dahin. Mitja schwieg, und Andrej, der sonst ein redseliger Bursche war, hatte ebenfalls noch kein Wort gesagt, als scheute er sich, ein Gespräch anzufangen; er trieb nur munter seine braunen Gäule an, sein mageres, aber feuriges Dreigespann. Da rief Mitja auf einmal in schrecklicher Unruhe: »Andrej! Und wenn sie nun schon schlafen?«
    Das war ihm plötzlich eingefallen; bis dahin hatte er diese Möglichkeit gar nicht bedacht.
    »Sehr wahrscheinlich, daß sie sich schon hingelegt haben, Dmitri Fjodorowitsch.«
    Mitja zog schmerzlich die Brauen zusammen.

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