Die Brüder Karamasow
üblichen Migräne nicht würde entgehen können. Als sie die Meldung des Stubenmädchens hörte, war sie erstaunt, befahl aber in gereiztem Ton, den Herrn abzuweisen, obwohl der unerwartete Besuch eines unbekannten »hiesigen Beamten« zu einer solchen Stunde ihre weibliche Neugier erregte. Doch Pjotr Iljitsch zeigte sich diesmal hartnäckig wie ein Maultier. Als er, den abschlägigen Bescheid vernahm, bat er außerordentlich energisch, ihn noch einmal zu melden und »genau mit diesen Worten« zu bestellen, daß er in einer höchst wichtigen Angelegenheit gekommen sei und daß es die gnädige Frau später vielleicht selbst bedauern würde, wenn sie ihn jetzt nicht empfing. Das Stubenmädchen sah ihn erstaunt an und ging zum zweitenmal hinein, ihn zu melden. Frau Chochlakowa war betroffen und überlegte; sie erkundigte sich, was der Herr für einen Eindruck mache, und erfuhr, er sei anständig gekleidet, jung und sehr höflich. Pjotr Iljitsch war, nebenbei bemerkt, ein recht gut aussehender junger Mann und wußte das auch selbst. Frau Chochlakowa entschloß sich, ihr Schlafzimmer zu verlassen und ihn zu empfangen. Sie war schon im Hauskleid und in Pantoffeln und warf noch einen schwarzen Schal über die Schultern. Sie ließ den Beamten in den Salon bitten, in dasselbe Zimmer, wo sie eine Weile vorher auch Mitja empfangen hatte. Sie trat mit ernster, fragender Miene herein und begann, ohne ihn zum Sitzen aufzufordern und ohne sonstigen Umstand mit der Frage: »Was steht zu Ihren Diensten?«
»Ich habe gewagt, gnädige Frau, Sie in einer Angelegenheit unseres gemeinsamen Bekannten Dmitri Fjodorowitsch Karamasow zu belästigen«, begann Perchotin. Doch kaum hatte er diesen Namen ausgesprochen, zeigte sich auf dem Gesicht der Frau des Hauses eine starke Gereiztheit.
Sie kreischte fast auf und unterbrach ihn zornig. »Wie lange wird man mich noch mit diesem schrecklichen Menschen quälen!« rief sie außer sich. »Wie konnten Sie es wagen, mein Herr, eine Ihnen unbekannte Dame in ihrem Haus zu belästigen, noch dazu zu solcher Stunde, um mit ihr von einem Menschen zu sprechen, der mich hier, in diesem selben Zimmer, vor drei Stunden töten wollte, mit den Füßen stampfte und in einer Weise hinausging, wie niemand aus einem anständigen Haus hinauszugehen pflegt! Wissen Sie, mein Herr, daß ich mich über Sie beschweren werde, daß ich mir das nicht gefallen lasse! Gehen Sie auf der Stelle! Ich bin Mutter, ich werde sogleich ... Ich ... Ich...«
»Töten? Also hat er auch Sie töten wollen?«
»Hat er etwa sonst schon jemand getötet?« fragte Frau Chochlakowa hastig.
»Haben Sie die Güte, mir nur eine halbe Minute zu widmen, gnädige Frau, und ich werde Ihnen in wenigen Worten alles erklären«, antwortete Perchotin energisch. »Heute um fünf Uhr nachmittags lieh sich Herr Karamasow von mir freundschaftlich zehn Rubel, und ich weiß hundertprozentig, daß er kein Geld hatte. Heute um neun Uhr aber kam er zu mir und trug ein Päckchen Hundertrubelscheine offen in der Hand; es mochten zwei- oder gar dreitausend Rubel sein. Seine Hände und sein Gesicht waren ganz voll Blut, und er selbst machte den Eindruck eines Geistesgestörten. Auf meine Frage, wo er so viel Geld herhabe, antwortete er mit Bestimmtheit, er habe es kurz vorher von Ihnen bekommen. Sie hätten ihm eine Summe von dreitausend Rubeln geliehen, damit er in die Goldbergwerke fahren könne ...«
Auf Frau Chochlakowas Gesicht malte sich eine gewaltige Erregung.
»O Gott, da hat er seinen alten Vater totgeschlagen!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Ich habe ihm kein Geld gegeben, gar keines! O laufen Sie, laufen Sie. Reden Sie kein Wort weiter! Retten Sie den alten Mann, laufen Sie zu seinem Vater, laufen Sie!«
»Erlauben Sie, gnädige Frau, also Sie haben ihm kein Geld gegeben? Sie erinnern sich bestimmt, daß Sie ihm gar nichts gegeben haben?«
»Nichts habe ich ihm gegeben, nichts! Ich habe es ihm abgeschlagen, weil er es nicht zu schätzen wußte. Er verließ mich in größter Wut und stampfte mit den Füßen. Er wollte sich auf mich stürzen, aber ich flüchtete vor Ihm ... Und da ich Ihnen jetzt nichts mehr verheimlichen möchte, werde ich Ihnen noch sagen, daß er mich sogar bespuckt hat, können Sie sich das vorstellen? Aber warum stehen wir? Setzen Sie sich doch ... Entschuldigen Sie, ich ... Oder laufen Sie lieber, laufen Sie! Sie müssen laufen und den unglücklichen alten Mann vor einem schrecklichen Tod bewahren!«
»Aber wenn
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