Die Brüder Karamasow
Eifersucht.«
»Geldstreitigkeiten?«
»Nun ja, Geldstreitigkeiten auch.«
»Wie es scheint, handelte es sich bei dem Streit um dreitausend Rubel, die Ihnen angeblich von Ihrem Erbteil zuwenig ausgezahlt worden waren.«
»Um dreitausend? Bewahre! Um mehr, viel mehr!« rief Mitja. »Um mehr als sechstausend, vielleicht um mehr als zehntausend. Ich habe das allen Leuten gesagt, laut gesagt! Aber ich hatte mich schon entschlossen, mich in Gottes Namen auch mit dreitausend zufriedenzugeben. Ich brauchte diese dreitausend Rubel sehr dringend, so daß ich das Kuvert mit dreitausend Rubeln, das unter seinem Kopfkissen für Gruschenka bereitlag, wie ich wußte, geradezu als mein Eigentum betrachtete, meine Herren, wie etwas, das mir gestohlen worden ist.«
Der Staatsanwalt wechselte mit dem Untersuchungsrichter heimlich einen bedeutsamen Blick.
»Wir werden auf diesen Gegenstand noch zurückkommen«, sagte der Untersuchungsrichter sogleich. »Gestatten Sie uns jetzt eben diesen Punkt festzuhalten: daß Sie das Geld in jenem Kuvert gewissermaßen als Ihr Eigentum betrachteten.«
»Halten Sie das fest, meine Herren! Ich sehe ein, daß das wieder ein Verdachtsgrund gegen mich ist, aber ich fürchte keine Verdachtsgründe und spreche selbst gegen mich. Hören Sie, ich selbst tue das ... Sehen Sie, meine Herren, Sie halten mich offenbar für einen anderen Menschen, als ich wirklich bin«, fügte er plötzlich mit finsterer, trauriger Miene hinzu. »Mit Ihnen spricht ein edeldenkender Mensch, ein Mensch – lassen Sie das nicht außer acht! –, der zwar eine Menge Schändlichkeiten begangen hat, jedoch immer ein edeldenkendes Wesen war und geblieben ist, ich meine, im Kern, innerlich, in der Tiefe, na kurz ... Ach, ich verstehe nicht, mich auszudrücken ... Gerade das hat mich mein Leben lang gequält, daß ich nach dem Edlen dürstete! Ich war sozusagen ein Märtyrer des Edlen, ich suchte mit der Laterne danach, mit der Laterne des Diogenes – und trotzdem beging ich mein ganzes Leben nichts als Gemeinheiten, so wie wir alle, meine Herren ... Das heißt wie ich allein, meine Herren, ich habe mich versprochen, ich allein, ich allein! Meine Herren, der Kopf tut mir weh ... Sehen Sie, meine Herren, mir mißfiel sein Äußeres und das Ehrlose an ihm, und daß er alles Heilige in den Staub trat, und seine Spottsucht und sein Unglaube, ach, das war alles so gemein, so widerlich! Aber jetzt, wo er tot ist, denke ich darüber anders.«
»Inwiefern anders?«
»Nicht eigentlich anders. Ich bedaure, daß ich ihn so gehaßt habe.«
»Empfinden Sie Reue?«
»Nein, nicht Reue. Schreiben Sie das nicht nieder! Aber ich selbst bin nicht gut, meine Herren, das ist es! Und ich bin auch nicht sehr schön. Und darum hatte ich kein Recht, ihn für widerwärtig zu halten, das ist es! Das schreiben Sie meinetwegen nieder!«
Als Mitja das gesagt hatte, wurde er auf einmal sehr traurig. Schon während er auf die Fragen des Untersuchungsrichters geantwortet hatte, war er immer finsterer geworden. Und da, in diesem Moment, geschah wieder etwas Unerwartetes.
Zwar hatte man Gruschenka vorhin entfernt, aber nicht weit genug, nur drei Zimmer weiter, in ein kleines, einfenstriges Zimmerchen gleich hinter dem großen Raum, wo es in der Nacht so hoch hergegangen war. Dort saß sie, und bei ihr war einstweilen nur Maximow, der sehr bestürzt war, sich furchtbar ängstigte und nicht von ihrer Seite wich, als ob er bei ihr Rettung suchte. An der Tür dieses Zimmerchens stand ein Bauer mit einem Blechabzeichen an der Brust. Gruschenka weinte, und dann auf einmal, als ihre Seele den Kummer nicht mehr ertragen konnte, sprang sie auf und eilte hinaus, zu ihm, zu ihrem Mitja – und das geschah so unerwartet, daß niemand sie zurückhalten konnte. Mitja fuhr zusammen, als er ihren Schrei hörte, sprang auf und stürzte ihr wie im Unterbewußtsein Hals über Kopf entgegen. Aber man ließ die beiden wiederum nicht zusammenkommen. Man packte ihn fest bei den Armen; er schlug um sich und suchte sich loszureißen, und drei oder vier Männer waren nötig, ihn festzuhalten. Man ergriff auch sie, und er sah, wie sie schreiend die Arme nach ihm ausstreckte, als sie weggezogen wurde.
Nachdem die Szene beendet war, fand er sich auf seinem früheren Platz am Tisch wieder, dem Untersuchungsrichter gegenüber; da schrie er, an alle gewandt: »Was haben Sie denn mit ihr zu tun? Warum quälen Sie sie? Sie ist unschuldig!«
Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter
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