Die Brüder Karamasow
kommen wir nie zu Ende. Das sage ich in Ihrem eigenen Interesse. Zur Sache, meine Herren, zur Sache! Und vor allen Dingen, wühlen Sie nicht so in meiner Seele, quälen Sie mich nicht mit unerheblichen Nebensachen, sondern fragen Sie nur nach der Hauptsache, nach den Tatsachen – dann werde ich Sie sofort zufriedenstellen. Die Kleinigkeiten aber soll der Teufel holen!« Das sagte Mitja, und das Verhör begann von neuem.
4. Das zweite Leid
»Sie glauben gar nicht, Dmitri Fjodorowitsch, wie Sie uns durch diese Ihre Bereitwilligkeit ermutigen ...«, begann Nikolai Parfjonowitsch lebhaft und sichtlich erfreut, was an seinen großen, hellgrauen, vorstehenden, sehr kurzsichtigen Augen abzulesen war, nachdem er kurz zuvor die Brille abgenommen hatte. »Und Sie haben soeben mit Recht die Notwendigkeit eines gegenseitigen Vertrauens hervorgehoben, ohne das man in Fällen von solcher Wichtigkeit nicht vorwärtskommt – falls der Verdächtigte wirklich wünscht, hofft und imstande ist, sich zu rechtfertigen. Wir von unserer Seite werden alles tun, was von uns abhängt, und Sie selbst haben ja schon sehen können, wie wir diese Sache behandeln ... Sind Sie einverstanden, Ippolit Kirillowitsch?« wandte er sich auf einmal an den Staatsanwalt.
»O gewiß!« antwortete dieser, etwas trocken zwar im Vergleich zu Nikolai Parfjonowitschs schwungvollen Worten.
Nebenbei bemerkt: Nikolai Parfjonowitsch, der erst vor kurzem zu uns gekommen war, empfand gleich von Anfang an eine außerordentliche Hochachtung vor unserem Staatsanwalt Ippolit Kirillowitsch, sogar eine fast herzliche Zuneigung zu ihm. Er war beinahe der einzige Mensch, der bedingungslos an die ungewöhnliche psychologische und rednerische Begabung unseres nach seiner eigenen Meinung »im Dienste zurückgesetzten« Ippolit Kirillowitsch glaubte und von dessen »Zurücksetzung« überzeugt war. Dafür war nun der junge Nikolai Parfjonowitsch seinerseits auch der einzige Mensch, den unser »zurückgesetzter« Staatsanwalt aufrichtig liebgewonnen hatte. Auf der Herfahrt hatten sie bereits den vorliegenden Fall besprochen und Verabredungen getroffen; und jetzt, da sie am Tisch saßen, fing Nikolai Parfjonowitschs scharfer Geist jede Andeutung, jedes Zucken im Gesicht seines älteren Kollegen sofort auf und schloß schon aus einem halben Wort, aus einem Blick, aus einem Blinzeln auf dessen Meinung.
»Meine Herren, überlassen Sie es nur mir, alles zu erzählen, unterbrechen Sie mich nicht mit Fragen nach Nebensächlichem; dann werde ich Ihnen im Nu alles auseinandersetzen«, sagte Mitja, vor Eifer glühend.
»Sehr schön! Ich danke Ihnen. Aber bevor wir dazu übergehen, Ihre Mitteilungen anzuhören, erlauben Sie mir bitte noch eine kleine, für uns sehr interessante Feststellung zu den zehn Rubeln nämlich, die Sie gestern nachmittag gegen Verpfändung Ihrer Pistolen von Ihrem Freund Pjotr Iljitsch Perchotin entliehen haben.«
»Ich habe meine Pistolen für zehn Rubel verpfändet, meine Herren, das ist richtig. Aber was weiter? Das ist alles. Sowie ich von meiner Fahrt wieder in die Stadt zurückgekehrt war, habe ich die Pistolen verpfändet.«
»Sie waren von einer Fahrt zurückgekehrt? Sie hatten die Stadt verlassen?«
»Jawohl, meine Herren. Ich war vierzig Werst weit weggefahren, haben Sie das nicht gewußt?«
Der Staatsanwalt und Nikolai Parfjonowitsch wechselten einen Blick.
»Und überhaupt, wie wäre es, wenn Sie Ihren Bericht mit einer systematischen Schilderung alles dessen beginnen würden, was Sie gestern vom frühen Morgen an getan haben? Gestatten Sie zum Beispiel die Frage: Warum haben Sie sich aus der Stadt entfernt, und zu welchem Zeitpunkt sind Sie weggefahren und wiedergekommen? Und dergleichen Tatsachen mehr ...«
»So hätten Sie gleich von Anfang an fragen sollen!« erwiderte Mitja laut lachend. »Und wenn es Ihnen recht ist, möchte ich nicht mit gestern beginnen, sondern mit vorgestern, mit vorgestern früh – dann werden Sie verstehen, wohin und wie und warum ich gegangen und gefahren bin ... Ich ging also vorgestern vormittag zu dem hier ansässigen Kaufmann Samsonow, meine Herren, um mir von ihm gegen vollständige Sicherheit dreitausend Rubel zu borgen. Das war plötzlich dringend geworden, meine Herren, das war dringend ...«
»Gestatten Sie mir eine Zwischenfrage«, unterbrach ihn der Staatsanwalt höflich. »Warum brauchten Sie so plötzlich Geld? Und warum gerade diese Summe, das heißt dreitausend Rubel?«
»Ach, meine Herren, Sie
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