Die Brüder Karamasow
meiner Gegenwart schon dreimal unter Tränen gesagt hat: ›Meine Krankheit kommt daher, Papa, daß ich damals Shutschka getötet habe! Dafür hat Gott mich gestraft.‹ Von diesem Gedanken läßt er sich einfach nicht abbringen! Wenn man jetzt nur diesen Shutschka auftreiben und ihm zeigen könnte, daß er nicht tot ist – so würde er, ich glaube, er würde vor Freude wie neubelebt sein! Wir haben alle auf Sie gehofft!«
»Sagen Sie, warum haben Sie eigentlich gehofft, daß ich Shutschka finden würde? Ich meine, daß gerade ich ihn finden würde?« fragte Kolja neugierig. »Warum haben Sie gerade auf mich gerechnet und nicht auf einen anderen?«
»Es gab ein Gerücht, daß Sie ihn suchen und, sollten Sie ihn finden, zu ihm bringen. Smurow hat so etwas gesagt. Wir geben uns alle Mühe, den Kranken zu überzeugen, daß Shutschka lebt und irgendwo gesehen worden ist. Die Jungen hatten schon ein lebendiges Häschen beschafft; er aber lächelte nur matt und bat, sie möchten es wieder aufs Feld bringen. Das haben wir denn auch getan. Eben ist sein Vater nach Hause gekommen und hat ihm einen jungen Bullenbeißer mitgebracht, den er ebenfalls irgendwo beschafft hat. Er dachte, ihn damit zu trösten, aber sein seelischer Zustand scheint dadurch nur noch schlimmer geworden zu sein.«
»Noch eins, Karamasow. Was für ein Mensch ist sein Vater? Ich kenne ihn, aber was ist er nach ihrem Urteil: ein Possenreißer, ein Hanswurst?«
»O nein. Es gibt tiefempfindende Menschen, die jedoch vom Schicksal niedergedrückt worden sind. Ihre Possenreißerei ist eine Art boshafter Ironie denen gegenüber, denen sie aus einer langjährigen, erniedrigenden Furcht die Wahrheit nicht ins Gesicht zu sagen wagen. Glauben Sie, Krassotkin, so eine Possenreißerei ist manchmal höchst tragisch. Für ihn konzentrieren sich jetzt alle Interessen, die er auf der Welt hat, in der Person Iljuschas, und wenn Iljuscha stirbt, wird er entweder den Verstand verlieren oder sich das Leben nehmen. Davon bin ich beinahe überzeugt, wenn ich ihn mir jetzt ansehe!«
»Ich verstehe Sie, Karamasow. Ich sehe, Sie sind ein Menschenkenner«, sagte Kolja nicht ohne Ergriffenheit.
»Als ich Sie eben mit dem Hund sah, dachte ich, Sie bringen diesen Shutschka.
»Warten Sie nur, Karamasow, vielleicht werden wir ihn noch finden. Das hier ist Pereswon. Ich werde ihn jetzt ins Zimmer lassen und Iljuscha durch ihn vielleicht mehr erfreuen als durch den kleinen Bullenbeißer. Warten Sie, Karamasow, Sie sollen gleich noch etwas erfahren ... Ach, mein Gott, wie kann ich Sie nur so aufhalten!« rief Kolja plötzlich eifrig. »Sie sind ja nur im Rock bei dieser Kälte, und ich halte Sie auf! Da sehen Sie, was ich für ein Egoist bin! Oh, wir alle sind Egoisten, Karamasow!«
»Beunruhigen Sie sich nicht. Allerdings ist es kalt, doch ich erkälte mich nicht so leicht. Aber wollen wir nicht hineingehen. Übrigens, wie ist ihr Name? Ich weiß, daß Sie Kolja heißen, aber wie weiter?«
»Nikolai lwanowitsch Krassotkin oder wie es offiziell auf dem Gymnasium lautet: Schüler Krassotkin«, erwiderte Kolja lachend, und dann fügte er plötzlich hinzu: »Ich hasse den Namen Nikolai.«
»Warum denn?«
»Er ist so trivial, so allgemein üblich,«
»Sie sind dreizehn Jahre alt?« fragte Aljoscha.
»Das heißt vierzehn, in zwei Wochen werde ich vierzehn, also sehr bald. Ich will ihnen gleich von vornherein eine Schwäche gestehen, Karamasow – das soll der Anfang unserer Bekanntschaft sein, damit Sie gleich mit einemmal mein ganzes Wesen kennenlernen. Ich kann es nicht leiden, wenn mich jemand nach meinem Alter fragt; und der Ausdruck ›nicht leiden können‹ ist dabei eigentlich noch viel zu schwach ... Und ferner ... Da wird zum Beispiel über mich die Verleumdung verbreitet, ich hätte in der vorigen Woche mit den Vorschülern ›Räuber‹ gespielt. Daß ich gespielt habe, ist eine Tatsache; doch daß ich um meinetwillen gespielt hätte, um mir selbst dadurch ein Vergnügen zu bereiten, ist eine Verleumdung. Ich habe Grund zu glauben, daß dies auch ihnen zu Ohren gekommen ist. Ich habe aber nicht um meinetwillen gespielt, sondern um der Kinder willen, weil sie ohne meine Hilfe keine Einfälle hatten. Bei uns werden immer solche albernen Gerüchte ausgesprengt. Unsere Stadt ist ein richtiges Klatschnest, glauben Sie mir.«
»Und selbst wenn Sie zu ihrem eigenen Vergnügen gespielt hätten – was wäre denn dabei?«
»Na, zu meinem eigenen Vergnügen ... Sie werden
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