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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Bruder, hoffst du wirklich gar nicht mehr auf einen Freispruch?«
    Mitja hob krampfhaft die Schultern und schüttelte verneinend den Kopf.
    »Aljoscha, Täubchen, es ist Zeit, daß du gehst!« sagte er plötzlich eilig! »Der Inspektor hat auf dem Hof gerufen, er wird gleich herkommen. Wir haben die Zeit schon überschritten, das ist ein Verstoß gegen die Ordnung. Umarme mich schnell, küsse mich und bekreuzige mich, Täubchen! Bekreuzige mich für mein morgiges Leiden!«
    Sie umarmten und küßten sich.
    Dann sagte Mitja auf einmal: »Iwan rät mir zu fliehen und glaubt dabei selber, daß ich den Mord begangen habe!«
    Ein trauriges Lächeln erschien auf seinen Lippen.
    »Hast du ihn gefragt, ob er es glaubt?« fragte Aljoscha.
    »Nein, gefragt habe ich ihn nicht. Ich wollte ihn fragen, bekam es aber nicht fertig; ich fand nicht die Kraft dazu. Doch ich sehe es ihm schon an den Augen an. Nun, lebe wohl!«
    Sie küßten sich noch einmal eilig, und Aljoscha wollte schon hinausgehen, als Mitja ihn plötzlich wieder zurückrief:
    »Stell dich vor mich, so!«
    Und er faßte Aljoscha wieder mit beiden Händen fest an den Schultern. Sein Gesicht wurde auf einmal so blaß, daß es selbst in der Dunkelheit zu bemerken war. Seine Lippen verzerrten sich, sein Blick haftete starr auf Aljoscha.
    »Aljoscha, sag mir die volle Wahrheit, wie vor Gott dem Herrn: Glaubst du, daß ich den Mord begangen habe, oder glaubst du es nicht? Du, du selbst: Glaubst du es oder nicht? Sag die volle Wahrheit, lüg nicht!« schrie er außer sich.
    Aljoscha hatte das Gefühl, als ob alles um ihn herum schwankte und ihm ein Stich durchs Herz ging.
    »Hör auf, was hast du...«, stammelte er fassungslos.
    »Die ganze Wahrheit, die ganze Wahrheit! Lüg nicht!« wiederholte Mitja.
    »Nicht eine Sekunde habe ich geglaubt, daß du der Mörder bist!« kam es plötzlich mit zitternder Stimme aus Aljoschas Brust, und er hob die rechte Hand, als wollte er Gott zum Zeugen seiner Worte anrufen.
    Mitjas Gesicht leuchtete augenblicklich vor Glückseligkeit auf! »Ich danke dir«, sagte er gedehnt, und es klang wie ein Seufzer nach einer Ohnmacht! »Du hast mir ein neues Leben geschenkt ... Ob du es glaubst oder nicht – bis jetzt habe ich mich davor gefürchtet, dich zu fragen! So, nun geh, geh! Du hast mich für morgen gestärkt, Gott segne dich dafür! Nun geh und hab Iwan lieb!« Das war das letzte Wort, das aus seiner Brust kam.
    Aljoscha ging tränenüberströmt hinaus. So viel Argwohn von seiten Mitjas, so viel Mißtrauen sogar ihm, Aljoscha, gegenüber, das zeugte von hoffnungslosem Kummer und so tiefer Verzweiflung in der Seele seines unglücklichen Bruders, wie er es nicht geahnt hatte. Unendliches Mitleid packte ihn und quälte ihn plötzlich sehr; sein zerrissenes Herz schmerzte unerträglich.
    Er mußte an die Worte denken, die Mitja eben gesprochen hatte: »Hab Iwan lieb!« Und nun ging er zu diesem Iwan. Er hatte ihn schon am Vormittag dringend sprechen wollen. Nicht weniger Sorge als Mitja bereitete ihm Iwan, erst recht jetzt, nach der Begegnung mit dem ältesten Bruder.

5. Nicht du, nicht du!
    Auf dem Weg zu Iwan mußte er an dem Haus vorbei, wo Katerina Iwanowna wohnte. Die Fenster waren hell. Er blieb plötzlich stehen und beschloß hineinzugehen. Katerina Iwanowna hatte er schon über eine Woche nicht gesehen. Doch ihm ging vor allem der Gedanke durch den Kopf, Iwan könnte vielleicht bei ihr sein, gerade jetzt, am Vorabend eines solchen Tages. Er klingelte, und als er die von einer chinesischen Laterne matt erleuchtete Treppe hinaufstieg, sah er jemand von oben herunterkommen. Als sie einander näher gekommen waren, erkannte er seinen Bruder. Der kam also bereits von Katerina Iwanowna.
    »Ach, du bist es nur«, sagte Iwan Fjodorowitsch trocken.
    »Na, lebe wohl. Du willst zu ihr?«
    »Ja.«
    »Ich rate dir nicht dazu. Sie ist erregt, und du machst das nur noch schlimmer.«
    »Nein, nein!« rief plötzlich eine Stimme von oben aus einer Tür, die schnell geöffnet wurde! »Alexej Fjodorowitsch, kommen Sie von ihm?«
    »Ja, ich war bei ihm.«
    »Läßt er mir etwas sagen? Kommen Sie herein, Aljoscha. Und auch Sie, Iwan Fjodorowitsch, kommen Sie noch einmal zurück, ich bitte dringend darum, hören Sie?«
    Katjas Stimme klang so gebieterisch, daß sich Iwan Fjodorowitsch nach kurzem Zögern dennoch entschloß, zusammen mit Aljoscha wieder hinaufzugehen.
    »Sie hat gelauscht!« flüsterte er gereizt vor sich hin; Aljoscha hörte

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