Die Brüder Karamasow
mit boshaftem Lachen, dann zerriß er, ohne das Kuvert zu öffnen, den ganzen Brief in mehrere Stücke und warf sie in den Wind. Die Fetzen flogen auseinander.
»Noch keine sechzehn Jahre alt, glaube ich, und bietet sich schon an!« sagte er verächtlich und lief weiter.
»Was heißt das, sie bietet sich an?« fragte Aljoscha.
»Das ist doch bekannt, wie sich liederliche Weiber anbieten!«
»Was redest du da, Iwan, was redest du da?« sagte Aljoscha betrübt, aber entschieden! »Sie ist ein Kind, du beleidigst ein Kind! Sie ist krank, sie ist selbst sehr krank, auch sie wird vielleicht den Verstand verlieren ... Ich mußte dir doch ihren Brief übergeben ... Ich hätte vielmehr gern etwas von dir erfahren, um sie zu retten.«
»Du wirst nichts von mir erfahren. Wenn sie ein Kind ist, bin ich nicht ihre Wärterin. Schweig, Alexej! Sprich nicht mehr davon! Ich denke überhaupt nicht mehr an diese Geschichte.«
Sie schwiegen wieder eine längere Zeit.
»Jetzt wird sie die ganze Nacht zur Muttergottes beten, damit diese ihr kundtut, wie sie morgen vor Gericht auftreten soll«, sagte er wieder in scharfem, boshaftem Ton.
»Du sprichst von Katerina Iwanowna?«
»Ja. Ob sie Mitja retten oder vernichten soll! Sie wird die Muttergottes bitten, ihrer Seele darüber eine Erleuchtung zukommen zu lassen. Sie selbst weiß es noch nicht, sie ist sich darüber noch nicht klargeworden. Auch sie möchte mich zur Kinderfrau haben, damit ich sie einlulle.«
»Katerina Iwanowna liebt dich, Bruder«, sagte Aljoscha bekümmert.
»Kann sein. Aber ich mag sie nicht.«
»Sie leidet. Warum sagst du ihr manchmal Worte, derentwegen sie sich Hoffnungen macht?« fuhr Aljoscha mit schüchternem Vorwurf fort! »Ich weiß, daß du Hoffnungen bei ihr erweckt hast ... Verzeih, daß ich so rede«, fügte er hinzu.
»Ich kann bei ihr nicht so verfahren, wie ich eigentlich müßte, das heißt, mit ihr brechen und es ihr geradeheraus sagen!« erwiderte Iwan gereizt! »Ich muß warten, bis das Gericht das Urteil über den Mörder gefällt hat. Wenn ich jetzt mit ihr breche, wird sie diesen Unmenschen morgen vor Gericht vernichten, um sich an mir zu rächen, denn sie haßt ihn und ist sich ihres Hasses bewußt. Hier ist alles Unwahrhaftigkeit und Lüge! Jetzt aber, solange ich noch nicht mit ihr gebrochen habe, hofft sie immer noch und wird diesen Unmenschen nicht zugrunde richten, weil sie weiß, wie sehr ich ihm aus der Patsche helfen möchte. Wann wird nur endlich dieses verfluchte Urteil gefällt!«
Die Wörter »Mörder« und »Unmensch« ließen Aljoschas Herz schmerzlich zusammenzucken.
»Wodurch könnte sie denn den Bruder zugrunde richten?« fragte er und dachte über Iwans Worte nach! »Was kann sie denn so Belastendes aussagen, daß er dadurch ohne weiteres vernichtet werden kann?«
»Du weißt das noch nicht. Sie hat ein Schriftstück von Mitja in Händen, welches mit mathematischer Sicherheit beweist, daß er Fjodor Pawlowitsch totgeschlagen hat.«
»Das ist nicht möglich!« rief Aljoscha.
»Wieso nicht möglich? Ich habe es selbst gelesen.«
»Ein solches Schriftstück kann es nicht geben!« wiederholte Aljoscha mit Wärme! »Das ist unmöglich, weil er nicht der Mörder ist. Er hat den Vater nicht ermordet, er nicht!«
Iwan Fjodorowitsch blieb plötzlich stehen.
»Wer ist denn deiner Ansicht nach der Mörder?« fragte er äußerlich kalt; in der Frage lag sogar ein gewisser Hochmut.
»Du weißt selbst, wer es gewesen ist«, antwortete Aljoscha leise und nachdrücklich.
»Wer es gewesen ist? Meinst du das Märchen von diesem verrückten Idioten, dem Epileptiker? Von Smerdjakow?«
Aljoscha fühlte auf einmal, wie er am ganzen Körper zitterte! »Du weißt selbst, wer es gewesen ist!« entfuhr es ihm matt und kraftlos.
Er rang mühsam nach Atem.
»Wer denn nun, wer denn?« schrie Iwan nun schon sehr wütend. Seine ganze Selbstbeherrschung war auf einmal verschwunden.
»Ich weiß nur das eine«, sagte Aljoscha noch immer leise, beinahe flüsternd! »Nicht du hast den Vater ermordet.«
»Nicht du! Was soll das heißen, nicht du?« fragte Iwan und blieb wie erstarrt stehen.
»Nicht du hast den Vater ermordet, nicht du!« wiederholte Aljoscha mit fester Stimme.
Das Schweigen dauerte fast eine halbe Minute.
»Das weiß ich selber, daß ich es nicht getan habe! Redest du im Fieber?« sagte Iwan; sein Gesicht war blaß und hatte ein verkrampftes Lächeln. Er starrte Aljoscha unverwandt an.
Sie standen wieder an einer
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