Die Brüder Karamasow
es.
»Gestatten Sie mir, den Überzieher anzubehalten«, sagte Iwan Fjodorowitsch, als er in den Salon trat! »Ich möchte mich auch nicht setzen. Ich werde nur eine Minute bleiben.«
»Setzen Sie sich, Alexej Fjodorowitsch«, sagte Katerina Iwanowna, blieb jedoch selbst stehen.
Sie hatte sich in der Zwischenzeit wenig verändert, nur in ihren dunklen Augen funkelte jetzt ein böses Feuer. Aljoscha erinnerte sich später, daß sie ihm in diesem Augenblick sehr schön erschienen war.
»Was läßt er mir sagen?«
»Nur eines«, antwortete Aljoscha und blickte ihr offen ins Gesicht! »Sie möchten Rücksicht auf sich selber nehmen und vor Gericht nichts darüber aussagen ... Was zwischen Ihnen ... Bei Ihrer ersten Bekanntschaft... vorgegangen ist ...«
»Ah, er meint die Verbeugung, die ich vor ihm aus Dankbarkeit für das Geld machte!« unterbrach sie ihn und lachte stolz auf! »Wie ist das, hat er da Angst um sich oder um mich? Er hat gesagt, ich möchte Rücksicht nehmen – auf wen soll ich Rücksicht nehmen? Auf ihn oder auf mich? Reden Sie, Alexej Fjodorowitsch!«
Aljoscha, bemüht, sie zu verstehen, blickte sie unverwandt an.
»Auf sich und auch auf ihn«, sagte er leise.
»Soso!« sagte sie scharf und zornig und errötete plötzlich! »Sie kennen mich noch nicht, Alexej Fjodorowitsch«, fuhr sie in drohendem Ton fort! »Und auch ich selbst kenne mich noch nicht. Vielleicht werden Sie mich morgen nach der Zeugenvernehmung mit den Füßen zerstampfen wollen.«
»Sie werden ehrlich aussagen«, erwiderte Aljoscha! »Weiter ist gar nichts nötig.«
»Eine Frau ist oft unehrlich«, antwortete sie! »Noch vor einer Stunde dachte ich, es müßte schrecklich sein, mit diesem Unmenschen in Berührung zu kommen ... wie mit einem häßlichen Reptil ... Aber nein, er ist für mich doch noch ein Mensch! Hat er nun den Mord begangen? Hat er es getan?« rief sie kreischend, wobei sie sich schnell zu Iwan Fjodorowitsch umwandte.
Aljoscha begriff sofort, daß sie Iwan diese Frage schon vorher gestellt hatte, vielleicht erst kurz bevor er selbst gekommen war, und zwar nicht zum ersten-, sondern wohl zum hundertstenmal, und daß dieses Gespräch mit einem Streit geendet hatte.
»Ich bin bei Smerdjakow gewesen«, fuhr sie fort, noch immer an Iwan Fjodorowitsch gewandt! »Du bist es gewesen, der mich zu der Überzeugung gebracht hat, daß er ein Vatermörder ist. Nur dir habe ich geglaubt!«
Iwan lächelte gezwungen. Aljoscha zuckte zusammen, als er dieses Du hörte; ein solches Verhältnis zwischen den beiden hatte er nicht ahnen können.
»Nun aber genug«, schnitt Iwan das Gespräch ab! »Ich gehe. Morgen werde ich wiederkommen,« Nach diesen Worten drehte er sich um, verließ das Zimmer und ging hinaus auf die Treppe.
Katerina Iwanowna ergriff plötzlich mit einer herrischen Gebärde Aljoschas Hand.
»Gehen Sie ihm nach! Verlassen Sie ihn keinen Augenblick!« flüsterte sie ihm zu! »Er ist wahnsinnig. Wissen Sie nicht, daß er wahnsinnig ist? Er hat Fieber, ein Nervenfieber! Der Arzt hat es mir gesagt. Gehen Sie, laufen Sie ihm nach ...«
Aljoscha sprang auf und stürzte Iwan Fjodorowitsch hinterher. Dieser war noch nicht fünfzig Schritte entfernt.
»Was willst du?« fragte er, als er merkte, daß Aljoscha ihm folgte! »Sie hat dir befohlen, mir nachzulaufen, weil ich verrückt sein soll. Ich weiß es, ohne daß mir das jemand sagt«, fügte er gereizt hinzu.
»Sie irrt sich selbstverständlich. Aber daß du krank bist, darin hat sie recht«, sagte Aljoscha! »Ich habe eben dein Gesicht gesehen, du siehst sehr krank aus, Iwan!«
Iwan blieb nicht stehen. Aljoscha lief neben ihm.
»Weißt du, Alexej Fjodorowitsch, wie man den Verstand verliert?« fragte Iwan ganz plötzlich mit leiser, gar nicht mehr gereizter Stimme, aus der nur harmlose Neugier herauszuhören war.
»Nein, das weiß ich nicht. Ich denke mir, daß es viele verschiedene Arten von Verrücktheit gibt.«
»Und kann man an sich selbst beobachten, wie man den Verstand verliert?«
»Ich glaube, es ist nicht möglich, das an sich selbst deutlich zu verfolgen«, antwortete Aljoscha.
Iwan schwieg lange.
»Wenn du mit mir über etwas reden willst, dann wechsle bitte das Thema«, sagte er plötzlich.
»Ehe ich es vergesse; da ist ein Brief an dich«, sagte Aljoscha schüchtern, zog Lisas Brief aus der Tasche und gab ihn Iwan. Sie waren gerade an einer Laterne. Iwan erkannte die Handschrift sofort.
»Ah, das ist von diesem Teufelchen«, sagte er
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