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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Laterne.
    »Nein, Iwan! Du hast dir selbst mehrere Male gesagt, daß du der Mörder bist.«
    »Wann habe ich das gesagt? Ich bin in Moskau gewesen ... Wann soll ich das gesagt haben?« stammelte Iwan fassungslos.
    »Du hast dir das oft gesagt, wenn du in diesen schrecklichen zwei Monaten allein warst«, fuhr Aljoscha leise und bestimmt
    fort. Er sprach jetzt wie in einer Art Verzückung, gewissermaßen nicht nach seinem eigenen Willen, sondern einem unwiderstehlichen Befehl gehorchend! »Du hast dich beschuldigt und vor dir bekannt, daß kein anderer der Mörder ist als du. Aber nicht du hast ihn ermordet, da irrst du dich. Nicht du bist der Mörder, hörst du, was ich sage? Nicht du! Mich hat Gott geschickt, dir das zu sagen.«
    Beide schwiegen wieder. Eine ganze lange Minute dauerte dieses Schweigen. Beide standen da, blaß, Auge in Auge. Auf einmal ging eine heftige Erschütterung durch Iwans Körper, und er packte Aljoscha an der Schulter.
    »Du bist bei mir gewesen!« flüsterte er zähneknirschend! »Du bist in der Nacht bei mir gewesen, als er kam ... Gib es zu! Du hast ihn gesehen, ja?«
    »Von wem redest du? Von Mitja?« fragte Aljoscha erstaunt.
    »Von dem rede ich nicht, hol‹ der Teufel diesen Unmenschen!« schrie Iwan wütend! »Du weißt also, daß er immer zu mir kommt? Wie hast du es erfahren? Sprich!«
    »Wer denn? Ich weiß nicht, von wem du sprichst«, stotterte Aljoscha, der jetzt ganz ängstlich wurde.
    »Nein, du weißt es! Wie könntest du sonst ... Unmöglich, daß du es nicht wissen solltest ...«
    Doch auf einmal schien er seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. Er stand da und überlegte. Ein seltsames Lächeln verzog seine Lippen.
    »Bruder!« begann Aljoscha mit zitternder Stimme von neuem! »Ich habe dir das gesagt, weil du meinen Worten glauben wirst, das weiß ich. Ich habe dir das für dein ganzes Leben gesagt: ›Nicht du!‹ Hörst du, für dein ganzes Leben! Gott hat es mir auf die Seele gelegt, dir das zu sagen, selbst wenn du mich von dieser Stunde an für immer hassen solltest ...«
    Iwan Fjodorowitsch schien sich aber schon wieder ganz in der Gewalt zu haben.
    »Alexej Fjodorowitsch!« sagte er mit einem kalten Lächeln! »Ich kann Propheten und Epileptiker nicht ausstehen, und am allerwenigsten Abgesandte Gottes, das wissen Sie sehr wohl. Von diesem Augenblick an breche ich mit Ihnen, und ich glaube, für immer. Ich bitte Sie, mich sofort, gleich an dieser Straßenkreuzung, zu verlassen. Der Weg zu Ihrer Wohnung führt sowieso durch diese Quergasse! Und hüten Sie sich besonders, heute zu mir zu kommen! Hören Sie?«
    Er wandte sich von ihm ab und ging mit festen Schritten davon, ohne sich umzusehen.
    »Bruder!« rief ihm Aljoscha nach! »Wenn heute irgend etwas mit dir geschieht, dann denk vor allen Dingen an mich!«
    Aber Iwan antwortete nicht mehr. Aljoscha blieb so lange unter der Laterne an der Straßenkreuzung stehen, bis Iwan ganz in der Dunkelheit verschwunden war. Dann drehte er sich um und ging durch die Seitengasse langsam zu seiner Wohnung. Er und Iwan Fjodorowitsch wohnten für sich, in verschiedenen Wohnungen; keiner von ihnen hatte in dem leeren Haus von Fjodor Pawlowitsch bleiben mögen. Aljoscha hatte ein möbliertes Zimmer bei einer Kleinbürgerfamilie gemietet, und Iwan Fjodorowitsch wohnte, ziemlich weit von ihm, in einer geräumigen, recht komfortablen Wohnung im Seitenflügel eines schönen Hauses, das einer wohlhabenden Beamtenwitwe gehörte. Zu seiner Bedienung hatte er in dem ganzen Seitenflügel nur eine völlig taube alte Frau, die stark an Rheuma litt und sich um sechs Uhr abends hinlegte und um sechs Uhr morgens aufstand. Er war in diesen zwei Monaten erstaunlich anspruchslos geworden und war am liebsten ganz allein. Er räumte sogar das Zimmer, das er benutzte, selbst auf; in die übrigen Zimmer seiner Wohnung kam er überhaupt nur selten. Als Iwan am Tor seines Hauses angelangt war und schon den Klingelgriff berührte, hielt er auf einmal inne. Er fühlte, daß er vor Wut noch immer am ganzen Körper zitterte. Plötzlich ließ er die Klingel wieder los, spuckte aus, drehte sich um und ging schnell zum entgegengesetzten Ende der Stadt, etwa zwei Werst von seiner Wohnung entfernt, zu einem winzigen, schiefen Häuschen aus unverschalten Balken, in dem Marja Kondratjewna wohnte, die ehemalige Nachbarin Fjodor Pawlowitschs, die früher oft in dessen Küche gekommen war, um Suppe zu holen, und der damals Smerdjakow seine Lieder zur Gitarre

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