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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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geeilt. Ob er sie gesprochen hat, ist unbekannt; spätabends, war er jedenfalls im Restaurant »Zur Residenz« erschienen und hatte sich dort gehörig betrunken. In diesem Zustand hatte er sich Feder und Papier geben lassen und ein wichtiges Beweisstück gegen sich selbst niedergeschrieben. Es war ein rasender, redseliger, unzusammenhängender Brief, eben das, was man einen »betrunkenen« Brief nennt: ähnlich, wie wenn ein Betrunkener bei der Rückkehr nach Hause seiner Frau oder einem Hausgenossen sehr hitzig erzählt, daß man ihn soeben beleidigt habe und was für ein Schuft der Beleidiger und was für ein prächtiger Mensch demgegenüber er selbst sei und daß er es diesem Schuft heimzahlen werde – und das alles in nicht abreißender Rede, zusammenhanglos und aufgeregt, untermalt von Faustschlägen auf den Tisch und vielen Tränen der Betrunkenheit. Das Papier zu diesem Brief, das man ihm im Restaurant gegeben hatte, war ein schmutziges Stück gewöhnlichen, minderwertigen Schreibpapiers; auf der Rückseite stand irgendeine Rechnung. Für die Redseligkeit des Betrunkenen hatte der Raum offenbar nicht ausgereicht, und Mitja hatte nicht nur alle Ränder vollgeschrieben, sondern die letzten Zeilen waren sogar quer über das bereits Geschriebene geschmiert. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:
    »Verhängnisvolle Katja! Morgen werde ich mir Geld beschaffen und Dir Deine dreitausend Rubel wiedergeben, und dann leb wohl, Du, die Du eines so gewaltigen Zornes fähig bist, aber auch meiner Liebe sage ich dann Lebewohl! Machen wir ein Ende! Morgen werde ich mir bei allen möglichen Leuten das Geld zu beschaffen versuchen, falls mir das jedoch nicht gelingt, dann, darauf gebe ich Dir mein Ehrenwort, werde ich zu meinem Vater gehen und ihm den Schädel einschlagen und ihm das Geld unter seinem Kopfkissen wegnehmen, sobald Iwan abgereist ist. Und wenn ich zur Zwangsarbeit nach Sibirien muß – die dreitausend Rubel werde ich Dir zurückgeben! Du selbst aber lebe wohl! Ich verbeuge mich vor Dir bis zur Erde, denn ich habe mich Dir gegenüber wie ein Schuft benommen. Verzeih mir! Nein, verzeih mir lieber nicht, dann wird mir und Dir leichter zumute sein! Lieber die Zwangsarbeit als Deine Liebe, denn ich liebe eine andere! Du aber hast sie heute allzusehr kennengelernt, wie kannst Du verzeihen! Ich werde den totschlagen, der mich bestohlen hat. Ich werde von euch allen nach dem Osten weggehen, um niemand mehr zu kennen. Auch sie will ich nicht mehr kennen, denn nicht allein Du quälst mich, sondern auch sie. Lebe wohl!
    P. S. Ich schreibe einen Fluch, doch ich bete Dich an! Das fühle ich in meiner Brust. Da ist noch eine Saite übriggeblieben, und die tönt. Am besten schneide ich mein Herz mittendurch. Ich werde mich töten, vorher aber jenen Hund. Ich werde ihm die dreitausend Rubel entreißen und sie Dir hinwerfen. Ich habe mich Dir gegenüber zwar wie ein Schuft benommen, trotzdem bin ich kein Dieb! Erwarte die dreitausend Rubel! Sie liegen bei dem Hund unter der Matratze, mit einem rosa Bändchen umwickelt. Ich bin kein Dieb, sondern ich töte den, der mich bestohlen hat. Katja, mach kein verächtliches Gesicht: Dmitri ist kein Dieb, sondern ein Mörder! Er hat seinen Vater totgeschlagen und sich zugrunde gerichtet, um aufrecht stehen zu können und Deinen Stolz nicht ertragen zu müssen. Und um Dich nicht lieben zu müssen.
    PP. S. Ich küsse Deine Füße, lebe wohl!
    PP. SS. Katja, bete zu Gott, daß mir diese Leute das Geld geben. Dann werde ich kein Blut vergießen. Geben Sie es mir aber nicht, dann vergieße ich Blut. Töte mich!
    Dein Sklave und Feind D. Karamasow.«
    Als Iwan dieses Schriftstück gelesen hatte, stand er überzeugt auf. Also hatte sein Bruder den Mord begangen und nicht Smerdjakow. Und wenn Smerdjakow nicht, dann auch er, Iwan nicht. Dieser Brief erlangte in seinen Augen sofort die Bedeutung eines unwiderleglichen Beweises. An Mitjas Schuld konnte für ihn nun kein Zweifel mehr bestehen. Beiläufig gesagt: daß Mitja den Mord gemeinsam mit Smerdjakow begangen haben könnte, diesen Verdacht hatte Iwan niemals gehegt; das paßte auch nicht zu den Tatsachen. Iwan war vollständig beruhigt. Am anderen Morgen erinnerte er sich nur mit Geringschätzung an Smerdjakow und dessen Spottreden. Ein paar Tage darauf wunderte er sich sogar darüber, daß er dessen Verdächtigungen so qualvoll als beleidigend empfunden hatte. Er nahm sich vor, ihn zu verachten und zu vergessen. So verging ein Monat. Nach

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