Die Brüder Karamasow
epileptischen Anfall zu simulieren, verschweige? Was sollte das heißen: nicht das ganze Gespräch? Was hast du damit gemeint? War das etwa eine Drohung, wie? Als ob ich mit dir eine Art Bündnis geschlossen hätte und mich vor dir fürchtete, wie?«
Iwan Fjodorowitsch sagte das in voller Wut, wobei er klar und absichtlich zu verstehen gab, daß er alle Winkelzüge und listigen Manöver verachte und offenes Spiel spielen wolle. Smerdjakows Augen funkelten boshaft, und sein linkes Auge zwinkerte; auf diese Weise gab er, obwohl seiner Gewohnheit gemäß ruhig und gemessen, gleich die wortlose Antwort: ›Du willst ein offenes Verfahren? Nun gut, das kannst du haben!‹
»Was ich damals gemeint habe und weswegen ich das gesagt habe, ist folgendes: Daß Sie ihren Vater, obwohl Sie seine Ermordung ahnten, damals als Opfer im Stich ließen und wegreisten, damit die Leute nicht zu üblen Schlußfolgerungen über Ihre Gefühle und vielleicht auch noch über etwas anderes gelangten. Das ist es, wovon ich Ihnen damals versprach, daß ich es den Behörden nicht mitteilen würde.«
Smerdjakow sagte das zwar langsam und offenbar auch mit Selbstbeherrschung; trotzdem war seiner Stimme schon eine gewisse Hartnäckigkeit, etwas Boshaftes und Herausforderndes anzuhören. Dreist starrte er Iwan Fjodorowitsch an, diesem flimmerte es im ersten Moment vor Erstaunen vor den Augen.
»Wie?« rief er! »Was? Bist du verrückt geworden?«
»Ich bin durchaus bei vollem Verstand.«
»Habe ich damals etwa von dem Mord gewußt?« schrie Iwan Fjodorowitsch endlich und schlug mit der Faust heftig auf den Tisch! »Was heißt das: ›Noch über etwas anderes‹? Rede, du Schurke!«
Smerdjakow schwieg und starrte Iwan Fjodorowitsch weiterhin frech an.
»Rede, du stinkende Kanaille! Was meinst du damit. ›Noch über etwas anderes‹?« brüllte er.
»Damit meinte ich, daß Sie am Ende auch selber den Tod Ihres Vaters wünschten.«
Iwan Fjodorowitsch sprang auf und schlug ihn so heftig mit der Faust auf die Schulter, daß er gegen die Wand taumelte. Im nächsten Augenblick war Smerdjakows Gesicht tränenübergossen und schien auszudrücken: ›Schämen Sie sich, mein Herr, einen schwachen Menschen zu schlagen!‹ Er bedeckte die Augen mit seinem blaukarierten, vollgeschneuzten Baumwolltaschentuch und weinte still vor sich hin. So verging etwa eine Minute.
»Nun genug! Hör auf!« sagte Iwan Fjodorowitsch endlich gebieterisch und setzte sich wieder auf seinen Stuhl! »Bring mich nicht um den letzten Rest meiner Geduld!«
Smerdjakow nahm seinen Lappen von den Augen. Jeder Zug seines runzligen Gesichts drückte Kränkung aus.
»Also du Schuft dachtest, ich wollte gemeinsam mit Dmitri den Vater ermorden?«
»Ihre damaligen Gedanken kannte ich nicht«, sagte Smerdjakow mit beleidigter Miene! »Darum hielt ich Sie damals am Tor auf, um Sie über diesen Punkt auszuforschen.«
»Was wolltest du erforschen? Was?«
»Eben diesen Punkt. Ob Sie die Ermordung Ihres Vaters wünschten oder nicht wünschten.«
Was Iwan Fjodorowitsch am meisten empörte, war der freche Ton, den Smerdjakow hartnäckig beibehielt.
»Du hast ihn ermordet!« rief er plötzlich.
Smerdjakow lächelte geringschätzig.
»Daß ich ihn nicht ermordet habe, wissen Sie selber ganz genau. Ich hatte geglaubt, ein kluger Mensch würde es für überflüssig halten, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.«
»Aber warum, warum ist dir damals so ein Verdacht gegen mich in den Sinn gekommen?«
»Wie Ihnen schon bekannt ist, einzig und allein aus Angst. Ich befand mich damals in einer solchen Lage, daß ich, vor Angst zitternd, alle Menschen verdächtigte. Auch Sie beschloß ich auszuforschen; denn ich dachte, falls Sie denselben Wunsch haben sollten wie Ihr Bruder, dann wäre ohnehin alles entschieden, und ich selbst würde mit umkommen wie eine Fliege.«
»Hör mal, vor zwei Wochen hast du das nicht gesagt!«
»Genau dasselbe habe ich auch im Krankenhaus in dem Gespräch mit Ihnen gemeint; nur nahm ich an, daß Sie mich auch ohne überflüssige Worte verstehen würden, und als ein kluger Mensch kein offenes Gespräch wünschten!«
»Nun sieh mal einer an! Aber antworte, antworte, ich will alles wissen! Wodurch habe ich eigentlich in deiner Schurkenseele diesen meiner so unwürdigen Verdacht erwecken können?«
»Selbst den Mord zu begehen – das hätten Sie um keinen Preis fertiggebracht, und das wollten Sie auch nicht. Aber daß ein anderer den Mord beging, das wollten
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