Die Brüder Karamasow
tat ihm weh, und das Blut hämmerte ihm schmerzhaft in den Schläfen, in den Händen fühlte er einen Krampf. Er hatte Marja Kondratjewnas Häuschen noch nicht ganz erreicht, als er vor sich einen einsamen Betrunkenen bemerkte, einen nicht sehr großen Bauern in einem zerlumpten Kittel. Der Bauer ging im Zickzack, brummte vor sich hin und schimpfte; doch auf einmal hörte er auf zu schimpfen und begann mit heiserer, trunkener Stimme zu singen:
»Ach, mein Wanka ging nach Piter,
und er kommt so bald nicht wieder ...«
Nach dieser zweiten Zeile brach er immer ab und begann wieder über irgend etwas zu schimpfen; darauf stimmte er dann wieder dasselbe Lied an. Iwan Fjodorowitsch war schon seit einer Weile wütend auf ihn, ohne daß er eigentlich richtig an den armen Kerl gedacht hätte; plötzlich aber wurde er bewußt auf ihn aufmerksam, und sogleich packte ihn ein unwiderstehliches Verlangen, den Bauern durch einen Faustschlag zu Boden zu schmettern. Als er ihn eingeholt hatte, prallte der Bauer, der stark schwankte, mit voller Kraft gegen Iwan. Der stieß ihn wütend zurück. Der Bauer taumelte ein paar Schritte und fiel wie ein Klotz auf die hartgefrorene Erde; er stöhnte nur einmal schmerzlich auf und war dann still. Iwan trat zu ihm. Er lag mit dem Gesicht nach unten da, regungslos und ohne Bewußtsein. ›Sicher wird er erfrieren‹, dachte Iwan und setzte seinen Weg zu Smerdjakow fort.
Marja Kondratjewna, die mit einem Licht in der Hand herauskam, um zu öffnen, flüsterte ihm schon auf dem Flur zu, Pawel Fjodorowitsch, also Smerdjakow, sei sehr krank; er liege zwar nicht im Bett, scheine aber nicht ganz bei Verstand zu sein; auch seinen Tee habe er nicht trinken wollen, sondern ihn wieder hinaustragen lassen.
»Und tobt er etwa auch?« fragte Iwan Fjodorowitsch barsch.
»Nicht doch, im Gegenteil, er ist ganz still. Aber reden Sie mit ihm nur nicht allzu lange!« bat Marja Kondratjewna.
Iwan Fjodorowitsch öffnete die Tür und ging in die Stube.
Geheizt war dort ebenso stark wie das erstemal; in der Stube waren jedoch mehrere Veränderungen eingetreten. Eine der Seitenbänke war hinausgetragen worden, und an ihrer Stelle stand ein großes, altes Ledersofa mit imitiertem Mahagoni. Darauf war ein Bett zurechtgemacht, dessen weiße Kissen ziemlich sauber waren. Auf dem Bett saß Smerdjakow, wieder in demselben Schlafrock. Der Tisch war vor das Sofa gerückt, so daß es in der Stube sehr eng geworden war. Auf dem Tisch lag ein dickes Buch mit gelbem Umschlag. Smerdjakow las aber nicht darin; er schien untätig dazusitzen. Er empfing Iwan Fjodorowitsch mit einem langen, stummen Blick und wunderte sich offenbar gar nicht über dessen Kommen. Im Gesicht hatte er sich sehr verändert; er war mager und gelb geworden, und seine Augen waren eingesunken und hatten blaue Ränder.
»Bist du ernstlich krank?« fragte Iwan Fjodorowitsch! »Ich werde dich nicht lange aufhalten und nicht einmal den Überzieher ablegen. Wo kann man sich denn bei dir setzen?«
Er ging zum anderen Ende des Tisches, rückte einen Stuhl an den Tisch und setzte sich.
»Warum siehst du mich so stumm an? Ich bin nur mit einer Frage hergekommen, und ich schwöre dir, ich werde dich nicht verlassen, bevor ich eine Antwort erhalten habe! Ist Fräulein Katerina Iwanowna bei dir gewesen?«
Smerdjakow schwieg lange und starrte Iwan weiterhin still an; doch machte er auf einmal eine wegwerfende Handbewegung und wandte das Gesicht ab.
»Was hast du?« rief Iwan.
»Nichts.«
»Was ist das für eine Antwort?«
»Na ja, sie ist hiergewesen. Aber das kann Ihnen doch ganz gleichgültig sein. Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Nein, ich werde dich nicht in Ruhe lassen! Rede, wann ist sie hiergewesen?«
»Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern«, sagte Smerdjakow mit einem verächtlichen Lächeln, wandte plötzlich sein Gesicht wieder Iwan zu und warf einen wütenden und haßerfüllten Blick auf ihn, genauso wie bei Iwans Besuch vor einem Monat.
»Sie scheinen ja selber krank zu sein. Was sind Sie mager geworden! Ihr Gesicht sieht ganz entstellt aus!« sagte er zu Iwan.
»Laß mein Befinden beiseite und antworte auf das, wonach du gefragt wirst.«
»Woher sind bloß Ihre Augen so gelb geworden? Die Augäpfel sehen ja ganz gelb aus. Sie quälen sich wohl sehr mit bösen Gedanken?«
Er lächelte herablassend und lachte dann auf einmal laut los.
»Hör mal, ich habe dir gesagt, daß ich dich ohne eine Antwort nicht verlassen werde!« rief Iwan
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