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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Smerdjakow erkundigte er sich bei niemand mehr; er hörte nur ein paarmal flüchtig, daß dieser sehr krank und nicht mehr voll bei Verstand sei! »Er wird im Wahnsinn enden«, hatte der junge Arzt Warwinski einmal gesagt, und Iwan entsann sich dieses Ausspruchs. In der letzten Woche dieses Monats fing Iwan selbst an, sich unwohl zu fühlen. Er war auch schon zu einer Konsultation zu dem Moskauer Arzt gegangen, den Katerina Iwanowna hatte kommen lassen und der kurz vor der Gerichtsverhandlung eingetroffen war. Gerade in dieser Zeit hatten sich seine Beziehungen zu Katerina Iwanowna zugespitzt. Die beiden waren sozusagen zwei ineinander verliebte Feinde. Katerina Iwanownas Rückfälle in ihre Liebe zu Mitja, die zwar immer nur von kurzer Dauer, aber sehr stark waren, hatten Iwan bereits in Raserei versetzt. Merkwürdig, bis zu jener letzten Szene bei Katerina Iwanowna, als Aljoscha in Mitjas Auftrag zu ihr gekommen war, hatte er, Iwan, in dem ganzen Monat von ihr kein einziges Mal einen Zweifel an Mitjas Schuld gehört, trotz ihrer ihm so verhaßten »Rückfälle«. Und noch eines war bemerkenswert: Er fühlte, daß er Mitja mit jedem Tag mehr haßte, und erkannte gleichzeitig, daß es nicht wegen der »Rückfälle« Katjas war, sondern weil er den Vater totgeschlagen hatte! Das fühlte er und war sich dessen vollständig bewußt. Und dennoch ging er zehn Tage vor der Gerichtsverhandlung zu Mitja und legte ihm einen Fluchtplan vor, den er offenbar schon lange überdacht hatte. Außer der Hauptursache, die ihn zu diesem Schritt veranlaßte, war noch eine nicht vernarbte Wunde in seinem Herzen mit im Spiel, eine Wunde, die von der Bemerkung Smerdjakows herrührte, es sei für ihn, Iwan, vorteilhaft, wenn sein Bruder verurteilt würde: dann erhöhe sich sein und Aljoschas Anteil an der Hinterlassenschaft des Vaters von je vierzigtausend auf je sechzigtausend Rubel. Er beschloß daher, seinerseits dreißigtausend Rubel zu opfern, um seinem Bruder Mitja die Flucht zu ermöglichen. Nach seiner Rückkehr von ihm war er sehr traurig und verstört; es war ihm auf einmal zu Bewußtsein gekommen, daß er die Flucht nicht nur deswegen wünschte, um dafür dreißigtausend Rubel zu opfern und so seine Wunde zu heilen, sondern auch noch aus einem anderen Grund. ›Wünsche ich sie deswegen, weil ich im Grunde meiner Seele ein ebensolcher Mörder bin?‹ fragte er sich selbst. Etwas Fernliegendes, Brennendes quälte seine Seele. Vor allen Dingen aber hatte in diesem Monat sein Stolz furchtbar gelitten – doch davon später. Als Iwan Fjodorowitsch nach seinem Gespräch mit Aljoscha schon den Klingelgriff an seiner Wohnung berührt und sich dann doch entschlossen hatte, zu Smerdjakow zu gehen, hatte er einem plötzlich aufsteigendem Gefühl des Unwillens gehorcht. Er hatte sich auf einmal erinnert, wie Katerina Iwanowna ihm soeben in Aljoschas Gegenwart zugerufen hatte: »Nur du allein hast mich zu der Überzeugung gebracht, daß Mitja der Mörder ist!« Bei diesem Gedanken erstarrte Iwan: Nie in seinem Leben hatte er sie zu überzeugen versucht, daß Mitja der Mörder sei; vielmehr hatte er sich damals, von Smerdjakow zurückgekehrt, sogar selbst vor ihr verdächtigt. Im Gegenteil, sie war es gewesen, die ihm damals das Schriftstück vorgelegt und dadurch die Schuld des Bruders bewiesen hatte! Und nun hatte sie auf einmal ausgerufen: »Ich bin selber bei Smerdjakow gewesen!« Wann war sie dagewesen? Iwan wußte nichts davon. Also war sie gar nicht so fest von Mitjas Schuld überzeugt! Und was hatte Smerdjakow ihr sagen können? Und was hatte er ihr wirklich gesagt? Ein schrecklicher Zorn überkam ihn. Er begriff nicht, wie er vor einer halben Stunde diese Worte hatte anhören können, ohne sofort dagegen zu protestieren. Er ließ den Klingelgriff los und machte sich auf den Weg zu Smerdjakow. ›Vielleicht werde ich ihn diesmal totschlagen!‹ dachte er unterwegs.
8. Dritter und letzter Besuch bei Smerdjakow
    Er hatte erst die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich ein scharfer, trockener Wind erhob, ein Wind wie am Morgen des Tages, und feinen, dichten, trockenen Schnee herabschüttete. Der Schnee fiel auf die Erde, ohne an ihr zu haften; der Wind wirbelte ihn wieder in die Höhe, und bald bildete sich ein richtiger Schneesturm heraus. In dem Stadtteil, wo Smerdjakow wohnte, gibt es bei uns fast keine Laternen. Iwan Fjodorowitsch lief durch die Dunkelheit, ohne den Schneesturm zu beachten, instinktiv seinen Weg suchend. Der Kopf

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