Die Brüder Karamasow
hätten ihn Fjodor Pawlowitsch und dessen Sohn Iwan gelehrt. Doch für Smerdjakows Ehrlichkeit trat er mit großer Wärme ein; er erzählte sogleich, wie Smerdjakow einmal eine Summe Geldes gefunden, sie aber nicht etwa heimlich behalten, sondern dem Herrn gebracht habe. Dieser habe ihm dafür ein Goldstück als Belohnung gegeben und ihm seitdem das größte Vertrauen geschenkt. Daß die Tür zum Garten offengestanden habe, versicherte er hartnäckig und beharrlich. Übrigens wurden ihm so viele Fragen vorgelegt, daß ich nicht alle habe behalten können. Endlich kam die Reihe an den Verteidiger. Er erkundigte sich zunächst nach dem Kuvert, in dem Fjodor Pawlowitsch »angeblich« dreitausend Rubel für »eine gewisse Person« versteckt hatte. »Haben Sie es selbst gesehen, Sie, der Sie Ihrem Herrn so viele Jahre nahegestanden haben?« Grigori antwortete, er habe es nicht gesehen und habe überhaupt von niemandem etwas über dieses Geld gehört »bis auf diese letzte Zeit, wo alle davon reden«. Die Frage nach dem Kuvert legte Fetjukowitsch seinerseits ebenfalls allen Zeugen mit derselben Hartnäckigkeit vor wie vorher der Staatsanwalt seine Frage nach der Erbschaft; er bekam von allen ebenfalls nur die eine Antwort, daß niemand das Kuvert gesehen habe, obgleich viele davon gehört hatten. Die Hartnäckigkeit, mit der der Verteidiger diese Frage wiederholte, fiel gleich am Anfang auf.
»Darf ich mich jetzt, wenn Sie erlauben, an Sie mit der Frage wenden«, fragte Fetjukowitsch plötzlich und ganz unerwartet, »woraus der Balsam oder, besser, der Aufguß bestand, mit dem Sie, wie aus der Voruntersuchung bekannt ist, an jenem Abend vor dem Schlafengehen Ihr schmerzendes Kreuz einrieben, in der Hoffnung, sich dadurch zu kurieren?«
Grigori blickte den Verteidiger verständnislos an und murmelte nach kurzem Stillschweigen. »Da war Salbei drin.«
»Nur Salbei? Erinnern Sie sich nicht an noch etwas?«
»Wegerich war auch drin.«
»Vielleicht auch Pfeffer?« erkundigte sich Fetjukowitsch interessiert.
»Ja, auch Pfeffer.«
»Und so weiter. Und das alles in Branntwein?«
»In Spiritus.«
Im Saal wurde ein klein wenig gelacht.
»Sehen Sie mal, sogar in Spiritus. Und nachdem Sie sich den Rücken eingerieben hatten, haben Sie zu einem gewissen frommen Gebet, das nur Ihrer Gattin bekannt ist, den Rest ausgetrunken, – nicht wahr?«
»Ja.«
»War es noch viel? Wieviel ungefähr? Ein Schnapsgläschen oder zwei?«
»Es mag etwa ein Wasserglas voll gewesen sein.«
»Sogar ein Wasserglas voll! Vielleicht auch anderthalb Wassergläser?«
Grigori schwieg; er schien etwas zu ahnen.
»Anderthalb Wassergläser reiner Spiritus – das ist nicht übel, meinen Sie nicht auch? Da kann man sogar die Pforten des Paradieses offen sehen – nicht nur eine Tür zum Garten.«
Grigori schwieg immer noch. Wieder ertönte leises Lachen im Saal; der Präsident wurde etwas unruhig.
»Wissen Sie genau«, setzte ihm Fetjukowitsch weiter zu, »ob Sie in dem Augenblick, als Sie die Tür zum Garten offenstehen sahen, schliefen oder nicht?«
»Ich stand ja doch auf meinen Füßen.«
»Das ist noch kein Beweis dafür, daß Sie nicht schliefen.« Wieder leises Lachen im Saal. »Hätten Sie zum Beispiel in dem Moment antworten können, wenn jemand Sie etwas gefragt hätte – zum Beispiel, welches Jahr wir jetzt haben?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was haben wir denn jetzt für ein Jahr unserer Zeitrechnung, nach Christi Geburt? Wissen Sie das nicht?«
Grigori stand fassungslos da und starrte den Verteidiger an. Merkwürdigerweise machte es den Eindruck, als wüßte er wirklich nicht, was wir für ein Jahr haben.
»Vielleicht wissen Sie aber, wieviel Finger Sie an den Händen haben?«
»Ich bin ein unfreier Mensch«, sagte Grigori plötzlich laut und deutlich. »Wenn es der Obrigkeit beliebt, sich über mich lustig zu machen, muß ich das ertragen.«
Fetjukowitsch schien diese Antwort ein wenig stutzig zu machen; doch auch der Präsident griff ein und machte den Verteidiger belehrend darauf aufmerksam, er möchte mehr Fragen zur Sache stellen. Fetjukowitsch hörte das an, verbeugte sich mit Würde und erklärte, daß er mit seinen Fragen fertig sei. Natürlich konnte beim Publikum wie auch bei den Geschworenen ein kleines Würmchen des Zweifels an der Aussage eines Menschen zurückgeblieben sein, der in einem allbekannten Zustand seiner Kur die Möglichkeit gehabt hatte, »die Pforten des Paradieses zu sehen«, und der außerdem nicht
Weitere Kostenlose Bücher