Die Brüder Karamasow
Aufmerksamkeit. Fetjukowitsch aber blieb bis zuletzt, bis zu seiner Rede, für alle ein Rätsel. Erfahrene Leute vermuteten, daß er eine bestimmte Methode befolgte, daß er sich schon einen Plan zurechtgelegt hatte und auf ein Ziel zusteuerte – doch was das für ein Ziel war, blieb dunkel. Seine Zuversichtlichkeit aber und sein Selbstvertrauen fielen jedem auf. Außerdem nahmen alle mit Vergnügen wahr, daß er während seines kurzen, etwa dreitägigen Aufenthalts bei uns auf erstaunliche Weise bis in die feinsten Feinheiten der Prozeßsache eingedrungen war. Mit Genuß erzählte man zum Beispiel später, wie er es verstanden hatte, alle Zeugen des Staatsanwalts zur rechten Zeit »hineinzulegen«, sie nach Möglichkeit zu verwirren, vor allem aber ihren moralischen Ruf zu beflecken und dadurch auch den Wert ihrer Aussage herabzumindern. Man nahm übrigens an, daß er das in der Hauptsache nur so zum Spiel tat, sozusagen um des juristischen Glanzes willen, damit nichts von den üblichen Advokatenkniffen vergessen wurde; denn alle waren davon überzeugt, daß er einen entscheidenden Nutzen durch alle diese »Befleckungen« nicht erzielen konnte und daß er das wahrscheinlich selbst am allerbesten einsah, daß er aber eine eigene Idee in Reserve hatte, irgendeine vorläufig noch verborgene Verteidigungswaffe, die er zum rechten Zeitpunkt plötzlich hervorholen würde. Einstweilen schien er jedoch im Bewußtsein seiner Kraft zu spielen und Mutwillen zu treiben. Als zum Beispiel Fjodor Pawlowitschs ehemaliger Diener Grigori Wassiljewitsch vernommen wurde, der die besonders belastende Aussage über die offene Tür machte, da krallte sich der Verteidiger geradezu an ihm fest, als er mit seinen Fragen an die Reihe kam. Grigori Wassiljewitsch war mit ruhiger und beinahe stolzer Miene in den Saal getreten, ohne sich im geringsten verwirren zu lassen, weder durch die Feierlichkeit des Gerichts noch durch die Anwesenheit des gewaltigen zuhörenden Publikums. Er machte seine Aussagen in so sicherem Ton, als ob er unter vier Augen mit seiner Marfa Ignatjewna spräche, nur sprach er respektvoller. Ihn verwirren zu wollen war ein Ding der Unmöglichkeit. Zuerst befragte ihn der Staatsanwalt lange über alle möglichen Einzelheiten, die sich auf die Familie Karamasow bezogen. Das Bild dieses Familienlebens wurde sehr deutlich sichtbar, und man hörte und sah, daß der Zeuge aufrichtig und unparteiisch war. Bei allem tiefen Respekt vor dem Andenken seines ehemaligen Herrn erklärte er zum Beispiel doch, dieser sei zu Mitja ungerecht gewesen und habe »für das Aufwachsen seiner Kinder nicht so gesorgt, wie es sich gehörte«. – »Als der noch ein kleiner Junge war, hätten ihn ohne mich die Läuse aufgefressen«, fügte er, über Mitjas Kinderjahre berichtend, hinzu. »Auch gehörte es sich nicht, wie der Vater den Sohn übers Ohr haute, was das Gut betraf, das dieser von seiner Mutter geerbt hatte.« Auf die Frage des Staatsanwalts, worauf er sich bei der Behauptung stütze, daß Fjodor Pawlowitsch hinsichtlich des Erbteils seinen Sohn benachteiligt habe, brachte er zur allgemeinen Verwunderung keinerlei begründende Tatsachen vor, sondern blieb nur dabei, die Abrechnung mit dem Sohn über das Erbteil sei »ungerecht« gewesen: Ihm hätten noch einige tausend Rubel ausgezahlt werden müssen. Ich vermerke bei dieser Gelegenheit, daß der Staatsanwalt die Frage, ob Fjodor Pawlowitsch seinem Sohn Mitja noch etwas schuldete, mit besonderer Hartnäckigkeit später auch allen anderen Zeugen vorlegte, Aljoscha und Iwan Fjodorowitsch nicht ausgenommen. Allerdings erhielt er von keinem Zeugen eine genaue Auskunft; alle behaupteten die Tatsache, ohne daß einer von ihnen einen Beweis hätte anführen können. Als Grigori die Szene bei Tisch beschrieb, da Dmitri Fjodorowitsch hereingestürmt war, seinen Vater geschlagen und gedroht hatte, er werde wiederkommen und ihn totschlagen, machte das im Saal einen tiefen Eindruck, zumal der alte Diener ruhig und ohne überflüssige Worte in seiner eigenartigen Sprache erzählte, was stärker wirkte als die größte Redekunst. Zu der Mißhandlung, die ihm Mitja zugefügt hatte, indem er ihn ins Gesicht schlug und zu Boden warf, bemerkte er, er trage ihm das nicht nach und habe es ihm längst verziehen. Über den verstorbenen Smerdjakow äußerte er, der Bursche habe gute Fähigkeiten besessen, sei aber dumm und durch seine Krankheit beeinträchtigt gewesen, vor allem aber gottlos: Die Gottlosigkeit
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